Im letzten Heft der Sprachnachrichten brachten wir einen Bericht Über die Verfassungsbeschwerde der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum gegen das Diplom-Verbot in Nordrhein-Westfalen. Prof. Thomas Hering, Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftslehre an der Fernuniversität in Hagen, hat sich noch einmal der skandalösen Regelung angenommen.
Das Diplom schlagt zurück! Seit einigen Monaten ist beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Beschwerde der Bochumer Wirtschaftswissenschaften gegen die vom Ministerium angeordnete Schließung ihres Diplom-Studienganges anhängig. "Oberstes Ziel des Hochschulfreiheitsgesetzes", hatte NRW-Wissenschaftsministers Andreas Pinkwart erklärt, "ist es, die Hochschulen noch leistungsfähiger und wettbewerbsfähiger zu machen. Dazu soll den staatlichen Universitäten ein Höchstmaß an Gestaltungs- und Entfaltungsfreiheit gegeben werden. Jede einzelne Hochschule soll in die Lage versetzt werden, für sich selbst den geeignetsten Weg zu beschreiten. "
Das klingt gut. Was aber sind die Taten? Nach dem Willen desselben Ministers soll die Einschreibung in sämtliche Diplom- und Magisterstudiengänge schon ab dem Wintersemester 2007/08 verboten sein. In Zukunft würden in Nordrhein-Westfalen also keine neuen Diplom-Ingenieure und Diplom-Kaufleute mehr ausgebildet, sondern monopolartig nur noch Halbakademiker, sogenannte Bachelors. (Bundesdeutsche Politiker sprechen am liebsten Englisch, und deshalb ersteht der - vor etwa drei Jahrhunderten an Ansehensmangel verblichene - mittelalterliche baccalaureus nun als englischsprachiger Schmalspurabschluß wieder auf). Nur für einen kleinen Teil dieser Bakkalaren soll es möglich sein, zusätzlich einen sogenannten Master zu erwerben, dessen wissenschaftliches Niveau sich bestenfalls an dem des abgeschafften Diploms orientiert. Der vom Minister vollmundig verkündete Wettbewerb erweist sich mithin als ein sozialistischer Wettbewerb, in dem der Sieger mit 99,9 Prozent Zustimmung schon von vornherein feststeht: die "internationale Einheitsfront" des angelsächsischen Bachelor-Master-Systems.
Derartig deutliche Diskrepanzen zwischen Worten (Wettbewerb, Gestaltungsfreiheit) und Taten (Wettbewerbsverbot, Gestaltungszwang bei den Studienabschlüssen) stimmen nachdenklich. Wenn der Bachelor so beglückende Wirkungen entfaltet, wie die Politik weissagt, warum wartet man nicht ab, ob er sich in ehrlicher Konkurrenz gegen das bewahrte Diplom durchsetzt? Ganz einfach, weil bislang überall dort, wo Diplom und Bachelor/Master zur Wahl stehen, das Diplom von Studenten und Arbeitgebern höher geschätzt wird. Peinliche Initiativen wie die Bachelor welcome-Erklärungen einiger Großunternehmen - sie bevorzugen übrigens zunehmend englische Muttersprachler gegenüber deutschen Bewerbern! - haben daran bis jetzt nichts zu andern vermocht.
Das vom Minister verhängte Diplom-Verbot nährt den Verdacht, daß nicht einmal die politischen Urheber des Bachelor-Master-Konzepts an dessen Überlegenheit glauben, denn bei wirklichem Vertrauen in das eigene Konzept wäre ein Wettbewerbsverbot zu Lasten der Diplom- und Magisterstudiengänge unnötig und unverhältnismäßig.
Wer den Wettbewerb manipuliert, nur weil ihm das absehbare Ergebnis nicht in seine ldeologie paßt, handelt verantwortungslos und unredlich. Um einen solchen fatalen Eindruck zu vermeiden, braucht der Minister nur eines zu tun: seinen Worten Taten folgen zu lassen und jeder Fakultät die freie Entscheidung zuzubilligen, mit welchen Studienangeboten sie sich dem wissenschaftlichen Wettbewerb stellen mochte. Tut er dies nicht, entpuppt sich sein "Hochschulfreiheitsgesetz" als Hohn, und es bleibt keine andere Wahl, als die Hochschulfreiheit auf dem Rechtswege gegen das "Hochschulfreiheitsgesetz" zu verteidigen.
Wenn das Diplom fallen sollte, dann wenigstens im Kampf.
Es geht bei der Verfassungsbeschwerde also um nichts anderes als um diesen vom Minister beschworenen Wettbewerb und die dafür notwendige Gestaltungsfreiheit der Hochschulen in ihren eigenen Kernangelegenheiten. Der bessere Abschluß möge gewinnen, nicht der von Politikern als "zeitgeistiger" erachtete. Dafür und zugleich für die akademische Freiheit aller Hochschulen und Fachhochschulen Nordrhein-Westfalens kämpft seit Dezember die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Ruhr-Universität Bochum mit Unterstützung des Deutschen Hochschulverbands vor dem Bundesverfassungsgericht. Es ist fast überflüssig, zu erwähnen, daß alle Bemühungen" den freien Wettbewerb der Studiengänge im Dialog mit vernünftigen Sachargumenten start mit der ultima ratio einer Verfassungsbeschwerde gegen die Landesregierung zu verteidigen, fruchtlos geblieben sind.
Wenn sich das den Universitäten ausdrücklich versprochene "Höchstmaß an Gestaltungs- und Entfaltungsfreiheit" in der Praxis sofort als obrigkeitsstaatliches Diktat zur Schließung erfolgreicher Studiengänge manifestiert, dann wünscht man sich sehnlichst in Zeiten zurück, als es noch keine Hochschulfreiheitsgesetze gab, sondern Hochschulfreiheit.
Damals, als noch der "Bismarck des deutschen Universitätswesens", Friedrich Althoff, mit wenigen Beamten im preußischen Kultusministerium für den Weltruhm der Universitäten des Deutschen Reiches sorgte und man allen bei und von uns lernenden Angelsachsen mit Stolz Germania docet sagte.
Derzeit aber sacken wir in eine gesetzlich geschaffene Mangelwirtschaft mit beispielloser Gängelung und Fremdbestimmung ab. Wie soll unser Bildungswesen genesen, wenn nur noch die vermeintlichen Nützlichkeitskeitsanforderungen der "Praxis" zahlen? Wer hat eigentlich mit Albert Einstein "Zielvereinbarungen" über die gefälligst bis 1905 aufzustellende Relativitätstheorie und die dabei angemessene Berücksichtigung von "Gender-Aspekten des Fachs" abgeschlossen? Wer evaluierte Max Weber, und wer akkreditierte den Diplom-Studiengang, als der Kaiser den technischen Hochschulen das Recht zur Verleihung der akademischen Grade Dr.-lng. und Dipl.-lng. zuerkannte?
Auch wenn der Ausgang des Prozesses in Karlsruhe nicht vorhergesagt werden kann - zumindest eines ist durch die Klage der Bochumer Fakultät jetzt schon erreicht: Unsere Universität hat noch einmal Lebenskraft und Mumm bewiesen. Sie läßt sich den schalen lnhalt des von herrschenden Politikern alternativlos dargereichten Schierlingsbechers mit der Aufschrift: Bachelor Welcome nicht widerstandslos einflößen, sondern wehrt sich im letzten Moment gegen die Mißachtung ihrer Freiheit. Das läßt hoffen.
Wenn dennoch wider alle Vernunft das Diplom fallen sollte, dann wenigstens im Kampf. Dadurch ist sichergestellt, daß die Politik und nicht die Universität dem Volk einst wird erklären müssen, warum Deutschland das Bildungsniveau seiner Akademiker mutwillig abgesenkt hat, zur Freude unserer Konkurrenten auf den Weltmärkten und zum Schaden aller, die gerne weiter auf die Gütesiegel deutscher Diplomabschlüsse vertraut hatten.
Die Bezeichnung Dipl.-Ing. ist ein akademischer Grad
Lang lebe der Dipl.-Ing. - fordert der Präsident der TU München, Wolfgang A. Herrmann im Januar 2005
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