In regelmäßigen Abständen wird in den Medien über den unredlichen Erwerb von Doktortiteln (es sind Doktorgrade) berichtet. Der Titelhandel ist seit vielen Jahren der Gesellschaft und den Staatsanwaltschaften bekannt, ohne dass die Beteiligten an diesen dubiosen Geschäften konsequent und abschreckend bestraft worden wären. Doch dieses Mal weht eine größere Menge akademischer Staub durch das Land. Aufgewirbelt durch etwa hundert Professoren und Honorarprofessoren, denen Bestechung vorgeworfen wird. Nach Meinung von René Theisen, Professor für Betriebswirtschaft in München und Experte für Titelhandel, sei bisher sogar nur „die Spitze des Eisberges bekannt geworden. Neuere Veröffentlichungen über den Fall scheinen seine Ansicht zu bestätigen.
Der Doktortitel ist kein Bestandteil des Namens
Vor über 45 Jahren hat der BGH die Tatsache bestätigt, dass der Doktorgrad KEIN Bestandteil des Namens ist. In den zahlreichen Institutionen wie Bundestag, Landtage, Rundfunk und Fernsehen, Unternehmen, Verlagen, Organisationen, Behörden, Vereinen weiterhin die Titel gepflegt. In den veröffentlichten Medien wird der Doktorgrad öfters ignoriert. Die „normalen Bürger wagen jedoch nicht, einen Promovierten (nur) mit dem Namen anzureden. Für das devote Verhalten wird sogar in Benimmkursen geworben mit der Empfehlung, das „Dr.-Kürzel in Anrede und Adresse vor dem Namen anzugeben. Nach Ansicht von Johann Schloemann (SZ vom 25.8.) ist „der Doktortitel häufig keinesfalls Ausdruck lebenslänglicher wissenschaftlicher Berufung, sondern eine Trophäe für Klingelschild und Visitenkarten. Und Martin Spiewak meint (DIE ZEIT v. 27.8.09): „Diese emotionale Überhöhung akademischer Titel dürfte ein Grund dafür sein, dass in Deutschland im Schnitt weit mehr Promotionen durchgeführt werden als in anderen Ländern (25 000 pro Jahr).
Das verborgene SEIN im SCHEIN
Die landesweit gepflegte Überbewertung einer einmaligen im übrigen unbekannten Leistung garantiert den Promovierten das lebenslange Image eines besonders klugen, wissenden und leistungsstarken Menschen. Das Vorurteil, nämlich die übertriebene Wertschätzung gilt auch für Dissertationen, die zum wissenschaftlichen Fortschritt wenig oder nichts beitragen, besonders für Doktorarbeiten auf dem medizinischen Gebiet, die meistens aus der Beurteilung selbst erstellter Statistiken bestehen. Johan Schloemann meint zum Verblassen des einmalig Geleisteten: „Der konnte mal was„ und „Ganz blöd kann er nicht sein. Auch ein Grund, „die Titelflut einzudämmen (Spiewak).
Die Promovierten pflegen ihren Sonderstatus, mit dem oft Eitelkeiten befriedigt und persönliche Unzulänglichkeiten aller Art verdeckt werden. Die Nichtakademiker dulden ihn, schon um dem Vorwurf zu entgehen, titelneidisch zu sein. Für den Nachweis sowohl des Beginns als auch für das unbegrenzte Fortbestehen der Berechtigung für die akademische Verzierung reichen die wenig aussagenden zwei Buchstaben keinesfalls aus. Sie sind nur das deutliche Signal des Promovierten, das genannte Vorurteil zu aktivieren. Unredlich erworbene Titel entwerten die echten.
Die verpasste Gelegenheit
Vor zwei Jahren wollte Innenminister Wolfgang Schäuble (Dr. jur.) die Passvorschriften dahingehend ändern, dass die Eintragung des Doktorgrades in der Namenszeile des Passes unterbleibt. Nicht etwa, weil er erkannt hatte, dass die bisherige staatlich angeordnete Praxis rechtswidrig war, sondern weil er u. a. den großen Verwaltungsaufwand in den Meldeämtern verringern wollte. Sicher war Schäuble bewusst, dass der Doktorgrad auch nicht zum Identifizieren einer Person erforderlich ist. Doch der damalige Ministerpräsident Bayerns, Günther Beckstein (Dr. jur.), war strikt dagegen, und zwar mit der für einen promovierten Juristen wenig schmeichelhaften und läppischen Begründung, bildungspolitische Traditionen zu erhalten. Der Bundesrat nickte und Schäubles Initiative war abgelehnt. Eitelkeit besiegte die Vernunft.
Die staatlich gestaltete Visitenkarte der Promovierten
Dank Beckstein blieb somit das „Hochsicherheitsdokument, der Ausweis als staatlich geschützte Visitenkarte erhalten. Er bietet weiterhin den Anreiz, sich einen Doktortitel zu beschaffen, um am lebenslangen hohen Ansehen der Titelträger in der Gesellschaft unseres titelverehrenden Landes teilzuhaben, mit der Aussicht auf ein höheres Gehalt als ein verzierungsloser Akademiker. Es lohnt sich daher, wenn schon nicht durch mehr oder weniger wissenschaftliche Leistung, dann wenigstens auf mehr oder weniger krummen Weg die zwei Buchstraben „Dr. vor dem Namen zu erwerben. Bei Bedarf hilft einer der zahlreichen „Promotionsberater, von denen einer bereits vor einem Jahr in die Mangel der Justiz geraten ist, was ihm 3 ½ Jahre Haft und eine Geldstrafe eingebracht hat. Die aktuellen Ermittlungen haben ebenfalls ihren Ursprung in diesem „Institut für Wissenschaftsberatung, dessen Geschäftsführer der Verurteilte war.
Gekaufte Titel entwerten legal erworbene Titel
Der Titelhandel wird sich erst dann nicht mehr lohnen, wenn der Doktorgrad vorurteilslos und gegenwartsbezogen beurteilt und die Titelträger nicht mehr automatisch lebenslang glorifiziert werden.
Um das deutsche Titel(un)wesen zu versachlichen schlage ich vor:
- Die von Schäuble bereits ausgearbeiteten Änderungen der Verwaltungsvorschriften zum Passgesetz, wonach der Doktorgrad nicht mehr in der Namenszeile von Personalausweis und Pass eingetragen wird, werden auf Grund der nach wie vor geltenden sachlichen Begründung umgehend beschlossen.
- Öffentlich genannte Doktorgrade werden grundsätzlich hinter dem Namen angegeben, und zwar vollständig mit Fakultät sowie mit Ort und Jahr der Promotion (Dr. med., München 1995).
- In einer Datenbank sind alle in der EU, mindestens in Deutschland erfolgreichen Dissertationen abrufbar.
Wer sind die Ersten?
Vorreiter bei der Versachlichung des Titelwesens könnte der deutsche Bundestag sein, wo in schon fast penetranter Weise die promovierten Abgeordneten ständig mit dem Titel aufgerufen und im Protokoll mit ihrer allerseits bekannten akademischen Verzierung vor dem Namen aufgeführt werden, als sei sie Bestandteil des Namens. Gleiches gilt auch für die Homepage der Bundestagsabgeordneten, worin ebenfalls die BGH-Rechtsprechung konsequent ignoriert wird. Dort werden auch die Diplomgrade als Berufsbezeichnung missbraucht.
Ferner verzichten die Medien (Funk, Fernsehen, Zeitungen etc.) jeweils auch im Impressum auf die Angaben von Titeln oder nennen sie vollständig in der vorgeschlagenen Weise.
Martin Spiewak (DIE ZEIT) regte an, die Unis sollten ehrenhalber verliehene Auszeichnungen wie „Dr. h.c. und „Honorarprofessor abschaffen und durch Ehrenmedaillen oder Benennung eines Hörsaales ersetzen. „Akademische Titel sind das wichtigste Kapital der Universität. Sie sollte es sorgsam hüten.
30.8.2009
Aktuelle Veröffentlichungen aus August 2009:
„Die Kunst der Korruption und „Korruptionsverdacht an deutschen Unis, SZ vom 24.8.
„Rang und Klang, SZ vom 25.8.
„Dr. Glück-Gehabt und „Doktortitel gegen Geld, SZ vom 27.8.
„Dr. Schwindel, DIE ZEIT vom 27.8.
„Doktortitel gegen Schmiergeld, AZ München vom 25.8.
„Doktortitel-Kauf: Gibt es noch mehr Fälle?, AZ München vom 26.8.
„Verdacht auf verschacherte Doktortitel oka/dpa/ddp vom 22.8.
CDU-Politiker soll falscher Doktor sein, Spiegel ONLINE vom 23.7.
http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,637812,00.html
"Die Doktor-Macher", DER SPIEGEL 36/2009
weitere Links: Macht und Schein der Titel
Bestechlicher Professor: Uni Hannover kassiert neun Doktortitel wieder ein (14.03.2009) Umstrittene Titel: Professoren und Doktoren made in Costa Rica (23.12.2008) Windige Promotionsberater: Doktorfabrik geht pleite (27.01.2009) Gefälschter Titel: Irans Innenminister stürzt über falsche Doktorwürde (04.11.2008) Schweizer Titelmühlen: Prof. Dr. Hochmut (16.07.2008) Titel-Missbrauch: Bambi-Gewinner zeigt sich selbst an (29.12.2007) Polit-Hochstapler: Als Herr Schürholt einen Tumor erfand (19.12.2007) Titelschrott von Phantom-Unis: Magna cum laude zum Schleuderpreis (25.06.2007)
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