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Das Aufblasen von Kompetenz und Ansehen auf höchster Ebene kann jeder Bundesbürger im deutschen Bundestag beobachten. Dort wird die Bedokterung der promovierten Abgeordneten auffällig und werbewirksam betrieben. In geradezu provinzieller Weise werden sie bei jedem Aufruf und in den Sitzungsprotokollen grundsätzlich mit „Doktor bzw. „Dr. verziert. Das Fernsehen überträgt regelmäßig diesen Titelzirkus. Statt mitzuhelfen Vorurteile abzubauen wird dem Wählervolk vorgeführt, wie man sie mit akademischen Sprechblasen pflegen kann. Ist es in so einem Umfeld verwunderlich, wenn langjährig im Parlament tätige Abgeordnete die Rechtsprechung im Personenstandsrecht verschlafen?
Vor einem Jahr war dem Rechtsexperten der SPD Dieter Wiefelspütz noch nicht das BGH-Urteil aus dem Jahre 1962 bekannt. Er behauptete allen Ernstes öffentlich, akademische Grade seien Bestandteil des Namens.
Ein jahrelanger Briefwechsel (2004 bis 2006) mit dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages und den Fraktionsvorsitzenden aller Parteien über das offenbar heikle Thema „Doktorgrad im Ausweis und in der Gesellschaft war ergebnislos. Die vorgehaltene Missachtung des BGH-Urteils wurde ebenso ignoriert wie der Hinweis auf die Abwertung der Diplomgrade in den Homepages der Abgeordneten. Dort werden sie immer noch als Berufsbezeichnung abgewertet, was ebenfalls dem BGH-Urteil widerspricht. Vom Bürger wird Gesetzestreue und beachtung erwartet, im Bundestag pfeift man auf Urteile des höchsten deutschen Gerichts.
Wenn man dann auch noch bedenkt, dass im vorigen Bundestag jeder 6. Abgeordnete mit einem Doktortitel dekoriert war und im aktuellen Bundestag auf 612 Abgeordnete 95 mit Doktorgrad kommen, dann ist es verständlich, dass der promovierte Jurist Günther Beckstein keinen Widerstand gegen die Abschaffung der Eintragung des Doktorgrades im Pass fand (siehe Art. 8 und 9). In Deutschland herrscht unter den Promovierten ein unterschwelliges Bestreben, jeden Versuch zu verhindern, dem Doktorgrad den Nimbus zu rauben, einen besonderen Menschen zu kennzeichnen. Den Titellosen bleibt nur die Gewissheit, ihn für ihr Selbstbewusstsein nicht zu benötigen.
Zum Artikel "Macht und Schein der Titel"
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