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Bildung Grade Titel XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / Doktor-Grad, Übersicht / Akad. Tagesbefehl / Brief zum 'Tagesbefehl'
 

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An Herrn Dieter Kohn, Klinikdirektor  
der Universitätsklinik im Saarland

An den Klinikdirektor der orthopädischen Klinik der Universitätskliniken des Saarlandes, Herrn Prof. Dr. med. Dieter Kohn

Anlass: Medizinischer Tagesbefehl in den Uni-Kliniken des Saarlandes
„ Umgangsformen in der Orthopädischen Klinik/kleiner Knigge“ (Wortlaut)


Sehr geehrter Herr Kohn,

das Rundschreiben an Ihre Mitarbeiter in der Klinik zum Regeln der "korrekten" Anrede der Ärzte ist sogar bis nach Bayern gedrungen. Offenbar hat Sie das "etwas unbeliebte" Thema derart stark bedrückt, daß Sie Ihre Erwartung (die "Erwartung" des Chefs einer Klinik dürfte in der Regel als Anweisung zu verstehen sein) mitteilen mußten, die promovierten Ärzte, Oberärzte und Professoren "in Ihrem (?) Hause" "entsprechend zu titulieren". Dies sei Ihrer Meinung nach wichtig für das Image "unserer Klinik".

Sie sind offenbar der Ansicht, daß ein Titel der Nachweis für Kompetenz sei. Welcher Patienten wünscht sich nicht diese Eigenschaft von seinem ihn behandelnden Arzt? Allerdings wird (medizinische und menschliche) Kompetenz nicht durch einen akademischen Grad oder Titel bewiesen, sondern durch Erfolge in der medizinischen Betreuung und Behandlung. Hier wäre die Veröffentlichung einer Statistik über die Heilungserfolge in "Ihrem Hause" sicher aufschlußreicher als das Hervorheben der akademischen Grade und Titel Ihrer Mitarbeiter.

Ihr Rundschreiben erinnert mich fatal an die von mir noch erlebten Tagesbefehle bei der Wehrmacht und an die Anweisung, als Rekrut grundsätzlich mit "Jawohl, Herr Unteroffizier" zu antworten.

Ich vermute, daß nicht nur mancher Ihrer promovierten Mitarbeiter, sondern auch Patienten ihren akademisch oder anderweitig gebildeten Kopf über Ihren Regelungseifer schütteln werden. Den Impuls dazu werden die hoffentlich zahlreich vertretenen kritischen Geister in "Ihrem Haus" auch dadurch erhalten, daß Sie die Ihnen disziplinarisch (Ärzte) und medizinisch (Patienten) Ausgelieferten bei der Wahl der "richtigen Anrede" völlig im Unklaren gelassen haben, wie z. B. eine Oberärztin Meier zu betiteln sei, mit "Frau Doktor med. Oberärztin Meier" oder mit "Frau Oberärztin Doktor med. Meier"? Und ihr Kollege mit "Herr Professor Doktor med. leitender Oberarzt Schmitt" oder "Herr Professor leitender Oberarzt Doktor med. Schmitt", nach der Devise, je mehr Titel, um so mehr Kompetenz? In Ihrer Anweisung fehlt auch die Androhung von Maßnahmen bei Nichtbeachtung. Wie werden bspw. Ärzte/Oberärzte/Professoren gemaßregelt? Beim 1. Mal Ermahnung, beim 2. Mal Abmahnung, beim 3. Mal 1 Tag Küchendienst usw.? Und bei Patienten? Beim 1. Mal ausführliche Aufklärung, beim 2. Mal nochmals Aufklärung und Ermahnung, beim 3. Mal 100mal schreiben "Ich soll ..." usw.?

Ach ja Kompetenz. Bei so manchen Promotionsthemen muß ein Titelloser ja geradezu erschauern angesichts der angedeuteten Bereicherung an Kompetenz:

"Psycho-physiologische Beanspruchungsuntersuchungen bei Lokführern der Deutschen Reichsbahn unter besonderer Berücksichtigung von Parametern des Herzrhythmus und des subjektiven Eigenzustands",

"Zur Qualitätsbestimmung von Bockwürstchen anhand der Sedimentierprobe",

"Zur bakteriellen Kontamination von Telephonen" oder

"Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern".

Schließlich verlangt die Promotionsordnung, daß jede Doktorarbeit "ein Fortschritt für die Wissenschaft" sei. Und davor hat schon der berühmte Arzt Ferdinand Sauerbruch kapituliert. Am Ende seiner Doktorarbeit resümiert er: "Wir fanden bei unserer Arbeit nichts Neues."

Die Beispiele sollen keinesfalls unterstellen, daß derartige Themen die Regel seien und vor allem, daß in Ihrer Klinik medizinischer Sachverstand die Ausnahme sei. Aber wie erkennt der respektbereite Patient, wie wissenschaftlich die Dissertation eines Promovierten war und wie hochwertig seine gegenwärtige Leistung ist? Die Buchstaben "Dr" vor dem Namen und die Anrede mit "Herr Professor/Doktor" können diese Frage keinesfalls beantworten. Wesentlich für das Ansehen der Klinik ist doch das tägliche Erleben von Pflege und Behandlung und die Zufriedenheit beim Verlassen der Klinik.

Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, der Neurologe Karl Max Einhäupl, plädiert für die Trennung von Forschung und Praxis in der Medizinerausbildung (DIE ZEIT Nr. 8, v. 12. Febr. 2004, S. 30). Seiner Meinung nach wollen heutzutage viele Mediziner nur den Grad "Dr. med." haben - auch weil die Patienten das von ihnen (traditionsgemäß) verlangen. Deren Doktorarbeiten entsprechen jedoch häufig nicht wissenschaftlichen Anforderungen. Überspitzt gesagt, untersuchen manche solcher Dissertationen irrelevante Fragestellungen mit unzulässigen Methoden und erhalten zu guter Letzt noch einen wohlklingenden "Titel".

Nach unseren Vorstellungen, so Einhäupl, sollen Medizinstudenten künftig ihr Studium mit einer Abschlußarbeit beenden, die vier bis sechs Monate in Anspruch nimmt. Nach dem Studienabschluß dürfen sie sich "Medizinischer Doktor" nennen, also MD - wie in den USA. Wer dagegen wissenschaftlich arbeiten möchte, macht im Anschluß an das Studium eine richtige Forschungspromotion. Nur nach solch einer Promotion darf sich jemand den Dr. med. vor den Namen schreiben. Wer Patienten behandeln möchte, muß sich wie bislang zum Facharzt qualifizieren.

Die Situation bei den Medizinprofessoren ist laut Einhäupl ähnlich wie bei der Promotion. "Viele Mediziner habilitieren nicht um der Forschung willen, sondern weil sie mit dem Titel bessere Chancen auf eine Stelle als Oberarzt oder Chefarzt haben. Selbst in Kreiskrankenhäusern soll der Chef heute Professor sein. Eine solche Habilitation dient oft jedoch weder der Wissenschaft noch der Krankenversorgung. Denn häufig geraten damit Ärzte an die Spitzen eines Krankenhauses, die weder "Vollblutkliniker" noch brillante Wissenschaftler sind. Auch deshalb brauchen wir zweigleisige Karrierewege.

In fast jedem Universitätsklinikum arbeiten Personen, die mit Ende dreißig berufen wurden, aber ihre Ressourcen nutzen, bis sie 65 sind, ohne Relevantes zu publizieren oder Nachwuchs auszubilden. Schlimmstenfalls sind sie klinisch auch noch schlecht. So jemand darf nicht ein ganzes Arbeitsleben lang eine Stelle blockieren. Die Universitätskrankenhäuser müssen die Möglichkeit haben, diese Professoren abzulösen. Mit der Befristung der erstmaligen Berufung der Medizinprofessoren auf fünf bis sieben Jahre will der Wissenschaftsrat althergebrachte Pfründe abschaffen, was vielen nicht gefallen wird."

Soweit der Vorsitzende des Wissenschaftsrates Karl Max Einhäupl.

Was Ihrer Anweisung, sehr geehrter Herr Kohn, jedoch die sachliche Grundlage entzieht, ist Ihre Ansicht, die von Ihnen so hoch geschätzten akademischen Verzierungen seien Bestandteil des Namens. Mit Verlaub, da irren Sie sich gewaltig. Der BGH hat bereits im Jahre 1962 die bis dahin geltende Rechtsprechung bestätigt und erneut festgestellt, daß akademische Grade

kein Bestandteil des Namens

sind, übrigens auch keine Berufsbezeichnung.

Auch beim Unterscheiden zwischen akademischen Graden und akademischen Titeln sind Sie ersichtlich nicht auf dem Laufenden. "Doktor (Fakultät)", abgekürzt "Dr.", ist ein akademischer Grad, und Professor, abgekürzt "Prof.", ist ein akademischer Titel (siehe "Akademische Grade & Titel", von Dr. jur. Wolfgang Zimmerling", Verlag Otto Schmidt, Köln). Der "Professor" ist ebenfalls kein Bestandteil des Namens und nicht einmal im Paß eintragbar. Dementsprechend werden in den geltenden Bundes-. und Landesvorschriften zum Vollzug des Paßgesetzes immer nur "akademische Grade" erwähnt und keine "akademischen Titel".

Bevor Sie also derart massiv in die zwischenmenschlichen Beziehungen Ihrer Mitarbeiter eingreifen, empfehle ich Ihnen, sich eingehend über die Rechtslage und den Sprachgebrauch zu informieren. Besonders lehrreich ist auch der Briefwechsel zwischen zwei promovierten Juristen in der FAZ.

Ihren akademischen "Tagesbefehl" werde ich in meiner Website aufnehmen, als Beispiel dafür, welche verstaubten Ansichten mancherorts dazu dienen müssen, mangelndes Selbstbewußtsein auszugleichen.

Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Werner
München, den 05.03.2004

Herr Kohn antwortet nicht persönlich, er lässt antworten.

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