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Die semantischen Purzelbäume des Duden 
Leserbrief vom 14.9.1998  

Zu WEM GEHÖRT DIE DEUTSCHE SPRACHE? von Hans Krieger in der SZ vom 14./15./16. August

Vorbemerkung:

In der SZ wurden die "semantischen Purzelbäume" in Abweichung vom Leserbrief den Sprachreformern zugeordnet, obwohl eindeutig der Duden mit ihnen gemeint ist. Er rechtfertigt - eigentlich verschleiert - damit den auftragsgemäß registrierten sprachlichen Un- und Widersinn in der Umgangssprache.

Krieger hat mit Bezug auf die Rechtschreibreform und die von ihr ausgelösten Debatten und Gerichtsurteile die Frage erörtert, ob zum Besitzstand der Sprache auch die „Verschriftungsform“ gehört. Unter Hinweis auf das Zusammenschreiben von „wiedersehen“ hebt er hervor, wie wichtig die zur Zeit Goethes und Schiller noch unbekannte Schreibweise ist, um als Ergebnis sprachlichen Bedürfnisses zwischen unterschiedlichen Sachverhalten zu unterscheiden. Krieger bedauert, daß durch die Rechtschreibreform der inzwischen erreichte „Nuancierungsgewinn“ fahrlässig rückgängig gemacht wird. Die Preisgabe des Differenzierungsfortschrittes bedeute einen Kulturverlust.

Die Klage über die verordnete Zusammenschreibung ist nicht neu. Die durch sie verursachten Mißverständnisse sind jedoch Lappalien gegenüber den seit vielen Jahren üblichen schreibungsunabhängigen Ausdrucksschlampereien beim Schreiben und Sprechen. Sprachbetroffene (Institute, Germanisten, Lehrer) nehmen sie ohne Murren hin, Sprachexperten beteiligen sich daran. Auch der Duden, allgemein als Nachfrageinstanz in Sachen Sprache angerufen und erst kürzlich von Prof. Ickler kritisiert (SZ vom 5. Aug. 1998), weil er sich mit der als falsch erkannten Zahl der geänderten Schreibregeln am Täuschungsmanöver der Kultusminister beteiligt, unterstützt sogar wider besseres Wissen das sprachliche Verschleiern von Sachverhalten, das wesentlich mehr Mißverständnisse verursacht als die Nuancierungsmöglichkeit bspw. zwischen wiedersehen und wieder sehen ausgleichen kann. Dabei schlägt er semantische Purzelbäume, um den auftragsgemäß registrierten sprachlichen Un- und Widersinn zu rechtfertigen.

Der Duden erläutert die oft gebrauchten Wörter mehrmals und mehrfach trotz ihrer völlig verschiedenen Bedeutung mit entsprechender Konsequenz für jedes Handeln und Erdulden, besonders in den Bereichen Technik, Medizin und Recht, als gleichbedeutend, und zwar mit  widersinnigen Argumenten. Der Duden ignoriert, daß mehrfache Ereignisse gleichzeitig stattfinden, mehrmalige dagegen nacheinander.

Beim Danken, um ein weiteres Beispiel zu nennen, bestätigt der Duden die volksmundliche Redewendung sich bedanken, indem er sie mit den Verben danken und sogar (jemanden) bedanken gleichsetzt. Analog bestände auch kein Unterschied, ob der Arzt sich oder einen Patienten behandelt. In keiner anderen Sprache als der deutschen sagt man also beim Danken das Gegenteil von dem, was man meint. Würde der Sich-Bedanker „sich behämmern“ würde er sofort merken, daß der Schlag den eigenen Kopf trifft.

Auch das Suffix fähig wurde im Duden außer für den ursprünglich alleinigen aktivischen Gebrauch (fähig zu tun) nun auch für den passivischen Gebrauch freigegeben, wobei fähig ausdrücken soll, daß etwas für etwas geeignet ist, daß etwas getan werden kann oder darf. Seine Begründung dafür: Es stände kein anderes Suffix mit vergleichbarer Funktion zur Verfügung. Es gibt jedoch eine Reihe von Adjektiven, die sich genauso wie fähig als Suffix verwenden lassen und die den Sachverhalt genauer treffen, z. B. geeignet, tauglich, würdig, trächtig, pflichtig, bedürftig, die also die von Krüger hochgehaltene Differenzierung  ermöglichen. Verwundert es dann, wenn in der Umgangssprache weitere Anwendungsgebiete für das „nuancen“-vernichtende fähig erschlossen werden? Nachdem bereits Konstruktionen wie notstromfähig, medikamentenfähig, zukunftsfähig, bombenfähig, eurofähig auf dem Sprachmarkt gehandelt werden, wird die deutsche Sprache ständig bereicherungsfähiger, z. B. mit küchenfähigen Hausfrauen und kinderfähigem Spielzeug.  

Meinen an die Dudenredaktion gerichteten kritischen Hinweis auf ihre sinnwidrigen Erläuterungen beantwortete die Sprachberatungsstelle mit dem Eingeständnis:

"Entsprechend den Belegen in der Sprachkartei werden die Wörter mehrmals und mehrfach aus Unwissen, Ungenauigkeit oder Unverständnis für austauschbar, für synonym gehalten. Bei der Wahl zwischen dem Sprachgebrauch und dem Erfordernis, semantische Unterschiede hervorzuheben, die von den Sprechern kaum noch wahrgenommen werden, entscheidet sich der Lexigraph für den Sprachgebrauch. Er registriert dabei manche Bildung (z. B. sich bedanken), die er selbst vielleicht überflüssig findet, die aber dennoch lebendig ist, Teil des deutschen Wortschatzes ist und Eingang in ein Wörterbuch finden muß. Wir hoffen, daß Sie nun verstehen, warum manche Wörterbuchartikel widersprüchlich, ungenau oder "umgangssprachlich" formuliert scheinen mögen. In Wirklichkeit geben sie nämlich  genau und konsequent einen Sprachzustand wieder, den als "verfallend" (!) zu kritisieren nicht unsere primäre Aufgabe ist."

Die Sprachberatungskompetenz des Duden basiert also auf dem statistischen Auswerten der Umgangssprache einschließlich des Unsinns, der sich in ihr ausbreitet.

Wer klärt nun den Bürger auf, wenn seine Sprachschöpfungen (z. B. die neue Modefloskel von etwas ausgehen statt annehmen, erwarten, erhoffen, glauben, vermuten, voraussetzen, schätzen, betragen, unterstellen, voraussagen usw.) die Ausdruckskraft der Sprache verringern oder gar unsinnig sind? Wer sorgt für eine klare Sprache in den Schulen, etwa die Kultusministerien? (Im Bayerischen Finanzministerium kennt man nicht einmal den Unterschied zwischen den Formulierungen um das Zweifache und auf das Zweifache mit gravierenden Folgen für das Rechenergebnis. Der Fehler kann kaum mehr als „Nuance“ bezeichnet werden.) Auch andere  Wörterbuchverlage, Sprachinstitutionen und Sprachexperten, halten sich offenbar nicht für zuständig, solange geregelt ist, wie daß geschrieben wird.

Ulrich Werner 

Offener Brief an den DUDEN

Zu Der Duden gilt in Sachen deutsche Sprache .....

Zu  danken - sich bedanken

Zu -fähig

zu davon ausgehen

(Links am 21.7.07 gesetzt)



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