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Bildung Grade Titel XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / Stil & Etikette / Einführung (1992)
 

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Stil & Etikette
 Der Ratgeber für menschliche Kontakte 

Einführung


 

Im Jahre 1992 erschien erstmals der Ratgeber für Umgangsformen unter dem Begriff „Stil & Etikette“, ähnlich dem bekannten „Knigge“, von dem diplomierten Kaufmann Normann Rentrop.

Später setzte der „Verlag für die deutsche Wirtschaft“ diese Informationsserie für zwischenmenschlichen Beziehungen wie auch für viele Bereiche des öffentlichen Lebens (als Praxis-Ratgeber) fort. In "Stil & Etikette" schrieb der Autor Wolfgang Rüther zum Thema „Anrede und Anschriften“ folgendes:

"Die korrekte Anrede steht am Anfang jeder Beziehung

Der erste persönliche Kontakt zu einem anderen Menschen erfolgt über die Anrede, sei es mündlich oder schriftlich. Und da der erste Eindruck in aller Regel bleibende Spuren hinterläßt, kommt der korrekten Anrede eine zentrale Bedeutung zu.

In vielen Fällen gibt es jedoch nicht eine korrekte Anrede, sondern mehrere Möglichkeiten. Traditionelle Überlieferungen gelten mancherorts als antiquiert oder gar als überholt. Der Trend zu schlichteren Anredeformen ist unverkennbar. Mit Respektlosigkeit hat das nichts zu tun.“

Diese Ansicht entspricht dem bereits weit verbreiteten Umgang mit Akademikern. Die noch aus vergangenen Jahrhunderten stammende Anrede mit dem Doktorgrad ist aus vielen Gründen überholt. Vor allem seit er nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kein Bestandteil des Namens ist. Dennoch wird In weiten Kreisen der Bevölkerung, in manchen Provinzblättern, aber auch in Parlamenten, Behörden und Rundfunkanstalten die akademische Verzierung als Zeichen fachlicher Kompetenz und oft auch als indirekte Aufforderung zu besonderer Wertschätzung und Achtung herausgestellt. Weder das eine noch das andere ist begründet und empfehlenswert.

Dementsprechend schrieb Rüther in „Stil & Etikette“ weiter:

“Übersteigerte Anredefloskeln widersprechen in manchen Kreisen einer verbreiteten Auffassung von wirklicher Achtung und sind eher zur Karikatur geeignet. Bisweilen werden sie auch von Inhabern höchster Ämter als hohle Förmlichkeiten empfunden. Schlichtere Anreden bringen mehr Volksnähe.

Obwohl es nach wie vor korrekt ist, einen katholischen Bischof mit „Eure Exzellenz" anzureden, legen viele Bischöfe auf die schlichtere Anrede„ Herr Bischof" ausgesprochenen Wert, weil ihnen daran gelegen ist, Hürden abzubauen und eine unmittelbare Beziehung entstehen zu lassen.

Der Deutsche Richterbund hat ein Zeichen gesetzt und allen Richtern empfohlen, auf die Anrede mit Titeln zu verzichten und vor Gericht lediglich die Anrede„ Herr Richter" zu verlangen.“

In seinen weiteren Darlegungen vergißt Rüthers seine moderne Auffassung zum Gebrauch akademischer Grade: Er mißachtet auch die aktuelle Rechtsprechung. So empfiehlt er im Kapitel „Die protokollarische Rangfolge“ unter

„Der Titel gehört zum Namen“

„Bei Titeln rangieren erworbene vor verliehenen. Beispiele: Dr. vor Dr,h.c., ordentlicher Professor vor Prof. h.c. ..“

und unter „Protokollkopf“

Akademische Titel gehören zum Namen. Im Kopf des Protokolls werden – wie bei der Empfangsanschrift im Brief – alle akademischen Grade angegeben.“

Beispiel:

Pro. Dr. Dipl.-Ing. Peter Schulze"

Rüther hat den akademischen Titel „Prof. h.c.“ erfunden, den gibt es nicht, allenfalls den Honorarprofessor. Außerdem kennt er nicht den Unterschied zwischen akademischen Graden und akademischen Titeln.

13 Jahre später:

Über den genannten "Verlag für die deutsche Wirtschaft" wurde mir im Jahre 2005 erneut eine Ausgabe von "Stil & Etikette" angeboten. Die aktuelle Ausgabe war als "Dankeschön" ergänzt durch ein Beiheft mit dem Titel

"Knigge 2005: Was ist neu, was ist veraltet" informiert Sie über die wichtigsten Veränderungen bei den modernen Umgangsformen.

Fehlanzeige! Die Empfehlungen aus dem Jahre 1992 wurden aufgewärmt, d. h. im wesentlichen unverändert übernommen. Der Zopf wuchs unbeeinflußt weiter. Die Eitelkeit ist ein beständiges Düngemittel.  

In den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die Glorifizierung Promovierter in der Öffentlichkeit auf etwa 20 % gesunken. Eigentlich erstaunlich bei einem so tiefverwurzelten Brauch, dessen Fundament die Eitelkeit des Menschen bildet. Wie ist es zu erklären, dass Menschen im Alltag z. B. Produkte des Lebensbedarfes intensiv prüfen, ob die Ware ihren Preis wert ist, bei Promovierten dagegen ihre Scheuklappen aktivieren. Sie kennen weder die grundsätzlich unbekannte - zum Erwerb des Doktorgrades ausreichende - Leistung noch die ebenfalls meistens unbekannte gegenwärtige Leistung des Promovierten. Dennoch glauben sie, von Druckwerken wie "Stil & Etikette" dabei bestärkt, in Anschrift und Anrede die akademische Verzierung angeben zu müssen. Sie bemerken nicht, dass sie damit den Anschein bestätigen, es handele sich um einen in irgendeiner Art besonderen Menschen. Und sie übersehen dabei, dass sie sich selbst erniedrigen. Hat nicht außer den vielen nichtpromovierten Akademikern jeder Mensch ganz spezielle Fähigkeiten, die unerkannt geblieben und nicht durch einen akademischen Grad veredelt worden sind?

Obwohl dieser weder zum Namen gehört noch eine Verpflichtung zu seiner Angabe bzw. Erwähnung besteht verändert sich diese Quote nicht. Bedauerlich ist das fortgesetzte Empfehlen veralteter Gewohnheiten in einem Standardwerk für menschlichen Umgang. Mit dem Beharren auf der Pflege von Vorurteilen in der mit ernormen Werbeaufwand vertrieben Informationsschrift „Stil & Etikette“ wird versucht, die Gesellschaft im Stand mittelalterlicher Umgangsformen einzumauern. Die zunehmend sachliche Einstellung der vor allem jüngeren Bevölkerung zu akademischen Graden und Titeln wird indirekt bekämpft. In einer demokratischen Gesellschaft sollten nicht Grade und Titel im Vordergrund (vor dem Namen) stehen, sondern der Mensch mit seinen gegenwärtigen Qualitäten. Und die stehen häufig im Widerspruch zum akademisch eingekleideten Blendwerk vor dem Namen. Die wahren Werte des Menschen werden schließlich doch erkannt. Es sollte jedem überlassen bleiben, auf welche Weise er Leistungen und Verdienste aus der Vergangenheit anerkennt.

Wie heißt es im Werbeschreiben dieses "Praxis-Ratgebers? 

Für den ersten Eindruck bietet sich Ihnen keine zweite Chance: Schon innerhalb der ersten drei Sekunden entscheidet sich, wie Sie auf Ihre Mitmenschen wirken. 

Schöne Aussichten für ein vorurteils- und heuchelfreies Gespräch. I
n so kurzer Zeit sind Sie also "unten durch", wenn Sie an einen von "Stil & Etikette" geflegten Titel-Liebhaber geraten sind, der sich ein Leben ohne akademische Beweihräucherung nicht mehr vorstellen kann. Und wer es sich bei seinem Vorgesetzten (in Behörden, Betrieben, Unis, Krankenhäuser, Verlage, Rundfunkanstalten) nicht verscherzen will, der bedoktert ihn halt in Gottes Namen mit dem nichtssagenden Doppelbuchstaben (Dr.) und denkt sich seinen Teil und oder gewöhnt sich daran. Hat jemand bei "Stil & Etikette" daran gedacht, wie sehr Schein und Sein mit der Zopfpflege vermischt wird? Offensichtlich nicht. 

Ich habe die Redaktion von "Stil & Etikette" auf den in ihrem Handbuch nicht mehr aktuellen Stand gesellschaftlicher Umgangsformen hingewiesen. Der daraus entstandene Briefwechsel beweist, wie schwierig es ist, seit vielen Jahren ausgeleierte synaptische Strukturen zu verändern.

Zur Ausgabe von 2005

Schreiben an "Stil & Etikette"

Die Chefredakteurin antwortet.

Die Antwort an die Chefredakteurin

Akademische Grade und Titel -  Das deutsche Titelwesen

 



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