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Sprache / Artikel zur Sprache XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / 'Gewisse Kämpfe' um den Unterschied (meh / 'Generalangriff oder Glosse im Sprachlab
 

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"Generalangriff oder Glosse im Sprachlabor der SZ?

Von Ulrich Werner

 

Zum Wortpaar mehrfach/mehrmals
im Sprachlabor in der SZ vom 26./27.4.2014                                                                                  am 9.5.2014

Sehr geehrter Herr Unterstöger,

zunächst vermutete ich eine Glosse, aber bald erkannte ich den Ernst, mit dem Sie im Sprachlabor, einleitend mit

„GEWISSE KÄMPFE sollte man verloren geben und sich trollen, 

einen Generalangriff auf zwei wichtige Begriffe der Deutschen Sprache führen. Stichhaltige Argumente für das Fehlen sprachlicher Notwendigkeit, die unterschiedliche Bedeutung von mehrfach und mehrmals abzuschaffen, bieten Sie nicht. Was Sie als wiederholten Beweis des „Sieges von „mehrfach“ (gegen mehrmals) bezeichnen, ist nichts anderes als das Ergebnis des Versäumnisses der SZ, für die konsequente Anwendung der genannten Begriffe im Blatt zu sorgen. Das Ergebnis ist seit vielen Jahren festzustellen: „mehrmals“ wird in der SZ kaum mehr verwendet. Da vertauschen Sie offenbar Ursache und Wirkung.

Ihren Artikel las ich verspätet während eines Orgelkurses in der Schweiz. Ich dachte sofort an einen bedauerlichen Fall von Amnesie. Die zahlreichen Gespräche mit mir über die Sprachschlampereien im Allgemeinen und über das Ignorieren von mehrmals in der SZ scheinen Sie also vergessen zu haben. Ich erinnerte mich nicht nur an dieses Thema, sonders auch an Ihre Klage, wie schwer es sei, in der Redaktion den gravierenden Unterschied zwischen mehrfach und mehrmals zu verbreiten. Wir sprachen auch vor Ihrer Reise zum Germanistentreffen im Jahre 1989 über einen von mir geplanten Leserbrief zu diesem Thema an die SZ. Im Moment finde ich ihn nicht. Nach Ihrer Reise schrieb ich, auf diese Bezug nehmend, einen weiteren Brief, wie meistens mit Kopie an Sie. Die SZ veröffentlichte ihn am 1./2. April 1989 unter dem Titel „Forschen nach den sprachlichen Unarten“. Darin ist unter Punkt 2 (von sieben) die Vernachlässigung von mehrmals erörtert. Gehören Sie nun auch zum internen Kreis der Ignoranten – im Widerspruch zur bisher vertretenen Überzeugung? Ihr Artikel legt dies dringend nahe. Was führte Sie zu diesem mir unerklärlichen Sinneswandel? Etwa eine Anweisung von „oben“? (siehe SZ vom 30./31.12.2013 zum Buch Meinungsmacht“). Wenigstens sind meine jahrelangen Bemühungen um klares Deutsch in der SZ als Leserbriefschreiber mit der wiederholten Erklärung der unterschiedlichen Bedeutung von mehrfach und mehrmals in meiner Webseite dokumentiert.

 Auch meine Kritik am Duden ist dort nachzulesen. In seinen Wörterbüchern missachtet er auffällig den eindeutigen Unterschied zwischen mehrfach und mehrmals. Doch nachdem ich in seinem Grammatikband eine plausible Erklärung für das Wortpaar entdeckt hatte, fügte ich sie sofort in meine Webseite ein. Die Ableitung der Begriffe mehrfach und mehrmals als unbestimmtes Vervielfältigungs-zahlwort (mehrfach) bzw. unbestimmtes Wiederholungszahlwort (mehrmals) ist überzeugend und für die Verständigung der Menschen sehr hilfreich. Einem versierten Germanisten wie Sie müssten die Definitionen bekannt sein. Ich kann daher Ihre Aufforderung, „gewisse Kämpfer“ für die Beachtung des Unterschiedes, sollten sich trollen, nicht ernst nehmen.

 Klarer kann eine Aufforderung zum verhunzen der deutschen Sprache nicht abgefasst werden.

 Ihre weiteren Argumente für die von Ihnen empfohlene Schwammversion sind ebenfalls nicht schlüssig.  

1. Es stimmt, in Radio- und Fernsehnachrichten wird „mehrmals“, obwohl erforderlich selten verwendet, aber ebenso in der SZ. Allerdings kam ein Hoffnungsschimmer auf, als ich in den vergangenen Monaten einen Wandel beobachtete. Immer öfter las ich in der SZ dieses bisher gemiedene Wort „mehrmals“.

2. Bei der Beurteilung, welche Art der Wortpräsentation wirksamer Unklarheiten erzeugt und Nachahmung erleichtert, ist folgendes zu bedenken. Geschriebenes prägt sich besser ein als Gehörtes. Das gedruckte Falschwort ist jederzeit nachlesbar und als optischer Eindruck wirksamer als in gehörter Form, wobei der Hörer abhängig ist von Deutlichkeit des Ausdrucks und Sprechgeschwindigkeit des Sprechers. Den Schwarzen Peter für die verbreitete Missachtung von mehrmals ausgerechnet den Funkmedien zuzuschieben, ist somit völlig abwegig.

3. Der von Ihnen hin und wieder zitierte Grimm in Ehren. Im vorliegenden Fall ignorieren Sie jedoch den Kontext. In beiden Fällen ist zu unterscheiden, ob die Handlung oder die Wirkungen(en) des Handelns betrachtet werden, also, ob „er sich mehrfach schlecht betragen hat“ oder ob „das Betragen mehrfach anstößig“ war, d.h. (gleichzeitig) bei verschiedenen Personen. Mehrfache Wirkungen sind immer glaubhafter (und häufiger) als mehrfache Handlungen. 

4. Der gleiche Unterschied ist beim Beinbruch zu beachten, der Ihrer Meinung nach auch noch einen eigenartigen Zeitbegriff „mustergültig illustrieren“ soll. Danach stehen beide Begriffe – einem Physiker sträuben sich die Haare - für Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit. Mit anderen Worten, der Leser solle nach wie vor rätseln, ob bspw. ein mehrfach gebrochenes Bein die Folge eines einzigen Sturzes oder von mehreren Stürzen ist und ob, leider wie bisher schon, das (falsche Wort) mehrfach statt mehrmals verwendet wurde.

5. Im abschließenden Zitat aus der SZ über eine Krankenpflegerin, die „mehrfach“ verstorbene Altenheim-bewohner fotografiert habe, sehe ich weniger wie Sie ein kurioses Gebilde, sondern den Ausdruck des bedauerlichen sprachlichen Alltags in der SZ. Ist Ihnen tatsächlich nicht bewusst, dass Sie gerade mit Ihrer absurden Sprachempfehlung derartige „Kuriose Gebilde“ provozieren? Ja sogar kriminelles Handeln. Wer mehrfach verheiratet ist, ist ein Bigamist.

6. Ich empfehle auch, die Fragen einiger Leser, wie krank man eigentlich sein müsse, um mehrfach sterben zu können, und eines Lesers, es reiche völlig, einmal zu sterben, nicht abzuwerten und sogar - völlig unzutreffend - erneut als Beweis des Sieges von mehrfach zu sehen, sondern lieber „an die eigene Brust zu klopfen“ (siehe oben). Nochmals gefragt, welchen Beitrag hat die SZ geleistet, um ihre Mitarbeiter auf wiederholt missverständliches Deutsch hinzuweisen und den Leser an eindeutiges Deutsch zu gewöhnen. Nebenbei wird ihm das Lesen erleichtert, ohne überlegen zu müssen, was jeweils gemeint ist. Ich hoffe, die sprachbewussten Leser werden ebenso wie ich gegen Ihren sprachlichen Fehltritt vehement protestieren, zweifle aber, dass die Leser die Reaktion der Leser erfahren werden.

7. Es wäre sehr bedauerlich, wenn die deutsche Sprache nicht mehr die Möglichkeit böte, mehrfache, d. h. gleichzeitige und einzelne, aber zeitversetzte Handlungen und Wirkungen von einander zu unterscheiden. Viele Gebiete wie Medizin, Recht, Versicherungswesen und Technik verlören wichtige Beurteilungskriterien. Im Patentwesen, vor allem im Verletzungsstreit sind die Kosten bei unklar formulierten Patentansprüchen unabsehbar hoch. Missverständnisse im Alltag werden nach Ihrer Empfehlung nun noch häufiger. Ich bezweifle, dass Ben Witter und Erns Hoferichter Ihnen zugenickt hätten. Ich jedenfalls werde keinesfalls „mich trollen“. Das sollen diejenigen, die Ihnen folgen. Und ich werde weiterhin für die sachgerechte Verwendung von mehrfach und mehrmals werben, um die Ausdruckskraft und die Differenzierungsmöglichkeiten der Deutschen Sprache zu erhalten. Ich hoffe auch, Ihre Empfehlung wird bald in Vergessenheit geraten.

Nach allem möchte ich Ihnen davon abraten, sich in die Niederungen meiner Webseite zur deutschen Sprache zu wagen.

 Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Werner

Artikel
von Hermann Unterstöger im "Sprachlabpr" der Süddeutschen Zeitung vom 26./27.4.2014  

Brief an Unterstöger

Schnelle Antwort von Unterstöger

Leserbrief an die SZ im Jahre 1989
"Forschen nach sprachlichen Unarten"

Auszeichnungen von Unterstöger

 



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