Eine schlüssige Begründung wenigstens im Zusammenhang mit dem Gesamttext zu erwarten erscheint unmöglich. Denn die zuständigen Dudenredakteure kennen offenbar den eigenen Text auf derselben Seite nicht. Schon im ersten Erläuterungssatz zum passivischen Gebrauch von "-fähig" (Hauptschwierigkeiten ...), daß etwas für etwas geeignet ist) steht ein Adjektiv, nämlich "geeignet", das sich ebenso wie viele andere Adjektive grundsätzlich als Suffix verwenden läßt. Sie alle könnten eine klare, mindestens keine verwässerte Information liefern, die dem Leser oder Hörer das Deuten des Textes ersparen. In der, Grammatik von 1998 sind unter "Adjektive in der Rolle von Suffixen" Adjektive aufgeführt, z. B. los, voll, reich; aber auch tauglich, würdig, trächtig, pflichtig, bedürftig, kräftig, steigend und viele andere könnten angefügt werden. Außerdem ignoriert der Duden im eben genannten Buch den Text, den er eine Spalte vorher auf der selben Seite, verfaßt hat. Mit den Beispielen eßbar, lieferbar und tragbar versucht er zu begründen, mit dem Suffix "-bar" könnten Adjektive (dieser Art ?) nur zu Verben gebildet werden. Sind in den Beispielen arbeitsfähig, lebensfähig und gehfähig die jeweils abgeleiteten Verben arbeiten, leben und gehen etwa keine Verben?
In den Nachfolgewerken des Duden "Richtiges und gutes Deutsch" von 1985 und dem Bedeutungswörterbuch von 1985 werden die sachwidrigen Erläuterungen zum Suffix "-fähig" fortgesetzt. Bemerkenswert (bemerkungsfähig) sind die im Bedeutungswörterbuch (1985) neu aufgenommene Beispiele, die das Absurde des passivischen Gebrauchs von "-fähig" deutlich machen. Wenn das Material als dehnfähig (kann gedehnt werden) an gesehen wird, wie bezeichnet man denjenigen, der es dehnen kann? Dehnbar? Wenn Kräuter streufähig sind, wie nennt man dann den Bauern, der Samen streut? Streubar? Mit dieser Methode wird das als Suffix zu verwendende "-bar" auf den Index unerwünschter Wörter gesetzt, vielleicht sogar in der Sprachsünderkartei aufgenommen. Der Duden müßte sich eigentlich dort selbst eintragen! Wenn man im aktuellen Grammatikband (1998) die Beispiele im Zusammenhang mit dem Verb "fahren" entdeckt hat, keimt leise Hoffnung auf. Stehen dort doch tatsächlich die Bildungen fahrbar, fahrbereit, -kundig, -tauglich und tüchtig.
Auch ein Duden kommt nicht ohne Anpassung an die aktuelle Technik aus, besonders wenn es sich um ein Medium handelt, das weltweit verbreitet und ansteuerbar (dudenmäßig: ansteuerungsfähig) ist. Auf seiner Homepage ist unter "Duden - Grammatische Fachbegriffe" das Suffix "-fähig" als synonym im aktivischen wie im passivischen Sinn erläutert, also wie gehabt. Das dort sowohl bei "aktivisch" als auch bei "passivisch" angeführte Beispiel verhandlungsfähig (= kann verhandeln) bzw. (das Angebot ist verhandlungsfähig = darüber kann verhandelt werden) bietet schon keine Überraschung mehr. Warum läßt der Duden das Suffix "-bar" nicht einfach aussterben? Dann wären alle Sterne, die wir gerade noch optisch orten können, sehfähig. Die weiter entfernten Himmelskörper müßten konsequenterweise als sehunfähig eingestuft werden, eine Eigenschaft, die schon ein Volksschüler allenfalls einem Blinden zuordnen würde.
Mit der (verhunzungsfähigen) Dudenlizenz, die Sprache zu vergewaltigen, wird die Möglichkeit genutzt, ohne nachzudenken "Fähigkeiten" dort zu sehen, wo sie semantisch betrachtet nicht sein können. Die Phantasie des Volkes schießt ins Uferlose und erschließt unaufhörlich förderungsfähige Gebiete. Steuerzahler und das Finanzamt sprechen nur noch von den abzugsfähigen Steuern, obwohl Steuern allenfalls abziehbar sind. Abzugsfähig, besser abziehfähig (abziehberechtigt, meinetwegen abzugsberechtigt) wäre das Finanzamt. Es wird nicht allzu lange dauern, bis der wörterbuchfähige Duden, den hütungsfähigen Sprachschatz erweiternd, nicht nur die küchenfähige Hausfrau, die autofähige Straße und das kinderfähige Spielzeug im Wörterbuch dokumentieren wird, sondern auch alle weiteren Konstruktionen, die sich mit Hauptwörtern und dem Suffix "-fähig" bilden lassen. Die Hauptwörter sind jeweils vertauschungsfähig (vertauschbar), wodurch die Anzahl der Kombinationen verdopplungsfähig (verdoppelbar) wird, zur hausfraufähigen Küche, zu straßenfähigen Autos und zum spielzeugfähigen Kind, auch zum dudenfähigen Wörterbuch und zur sprachschatzfähigen Hütung. Gibt es eine bessere Methode, mit der die deutsche Sprache noch bereicherungsfähiger und verhunzungsfähiger werden könnte? Jeder Deutsche wird fähigkeitsfähig. Der Umfang eines Wörterbuches wird zunehmen, d. h. es wird zunehmungsfähig. Ein finanziell (finanzfähig) nicht unwesentlicher, also ein wesentlichkeitsfähiger) Aspekt.
Insgesamt gesehen ist der Beitrag des Duden, jedenfalls bezüglich des passivischen Gebrauchs des Suffixes fähig, zum Erhalten der Ausdrucksfähigkeit und der Differenzierungsmöglichkeit der deutschen Sprache "würdigungsunfähig".
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