Der Versuch, einen verfransten Zopf abzuschneiden
Die Bezeichnung „Doktor (lat. „Lehrer) wurde im Mittelalter bei diversen Anlässen, teilweise anstelle des „Magister benutzt und der Titel sogar von Kaiser und Papst verliehen. In der frühen Neuzeit war der Doktorgrad als „Dr. vor dem Namen ein standespolitisches Markenzeichen der „doctores. Die approbierten Ärzte wollten und konnten sich gegen die nichtstudierten Heilkünstler und Quacksalber abgrenzen, mit denen sie im Wettstreit um Kunden standen. Heute besteht eine ähnliche, allerdings für viele Kranke vorteilhafte Konkurrenz zwischen den Ärzten und den Heilpraktikern. Eine analoge Unterscheidung durch den „Dr.-Vorsatz erübrigt sich schon wegen der unterschiedlichen Berufsbezeichnungen. Auch die Vielzahl der Fachrichtungen macht einen solchen Hinweis sinnlos. Nicht nur bspw. Juristen und Physiker, sondern auch Ärzte üben erfolgreich ihren Beruf aus, ohne die Buchstaben "Dr" vor dem Namen zu führen, und zeichnen sich durch herausragende wissenschaftliche Leistungen aus.
Nur die Bezeichnung „Onkel Doktorfür „Arzt erinnert noch an vergangene Zeiten. Eine „Tante Doktor konnte sich nicht einmal während der Emanzipation durchsetzen.
Inzwischen erwerben über 20 000 Studenten jährlich den Doktorgrad, mit steigender Tendenz. Auch die Zahl der verleihberechtigten Fakultäten nimmt entsprechend der Vermehrung des Spezialwissens zu.
Früher handelte es sich noch zweifelsfrei beim Herrn „Doktor um einen Arzt. Heute könnte nur der vollständige, also mit der Fakultätsbezeichnung angegebene Grad (beim Arzt „Dr. med.) Auskunft über die Fachausbildung des Promovierten geben, was meistens unterbleibt.
Ein anderer Mißstand besteht in der ungleichen Behandlung akademischer Grade in der Gesellschaft, leider auch noch bestärkt durch den Gesetzgeber. Der läßt es offiziell zu, verlangt es sogar, daß der verstümmelte Doktorgrad in der Namenszeile von Personaldokumenten (Ausweis und Reisepass) eingetragen wird. Die irrige Auffassung in der Bevölkerung, der Doktorgrad sei Bestandteil des Namens, konnte sich dadurch verfestigen. Sogar die Ehefrau eines Promovierten durfte sich im Abglanz des „Titels ihres Mannes sonnen. Sie wurde, obwohl ohne Studium, mit „Frau Doktor angeredet.
Mitte des vergangenen Jahrhunderts, in dem Jahren 1958 und 1962, wurden endlich Urteile erlassen, zunächst von niederrangigen Gerichten, schließlich vom BGH, worin ausdrücklich festgestellt wird, daß der Doktorgrad kein Bestandteil des Namens ist.
Vom Tag der Kenntnis dieses Sachverhaltes redete ich konsequent alle Promovierten, auch die Ärzte nur mit dem Namen an. Das war für mich, der noch mit der Verpflichtung zur Anrede mit dem Doktorgrad aufgewachsen war, eine gewaltige Umstellung. Nach einigen Monaten war es jedoch zur Gewohnheit geworden.
Wie stark gesellschaftlich Konventionen im Einzelnen verankert sind, zeigte sich bei den Kollegen meiner Abteilung in einer Großbehörde. Etwa 40 % der Akademiker waren promoviert, die übrigen diplomiert. Trotz meiner im größeren Kreise anfangs sogar provokanten Anrede der Promovierten (nur) mit dem Namen tat es mir auch nach 40 Jahren niemand gleich.
Um die m. E. unbegründete Ungleichbehandlung akademischer Grade in Frage zu stellen nahm ich die Fälligkeit eines neuen Reisepasses im Jahre 1978 zum Anlaß, meinen Diplomgrad eintragen zu lassen. Erwartungsgemäß wurde der Antrag von der zuständigen Gemeinde abgelehnt, und zwar mit Hinweis auf die geltenden Vorschriften nach dem Vollzug des Passgesetzes.
Gegen die Ablehnung meines Antrages erhob ich beim zuständigen Landratsamt Beschwerde (14.12.1978), die mit Schreiben vom 08.01.1979 beantwortet und auf Grund meines Widerspruchs (17.01.1979) mit einem Widerspruchsbescheid erledigt wurde (12.03.1979). Er setzte mich in die Lage, eine Verpflichtungsklage beim Verwaltungsgericht einzureichen.
Das Gericht holte eine Stellungnahme der Landesanwaltschaft ein. Diese bestätigte meine Ansicht, daß der Doktorgrad nicht zur Identifizierung einer Person erforderlich ist, und regte sogar an, auch den Doktorgrad nicht im Pass aufzunehmen. Dennoch stellte mir das Gericht in einer mündlichen Verhandlung anheim, die Klage wegen mangelnder Erfolgsaussicht zurückzunehmen. Was ich auch tat.
Das während meiner Ruhestandszeit gesammelte und in der Homepage veröffentlichte umfangreiche Material in Sachen akademische Grade veranlaßte mich, erneut gegen die Ungleichbehandlung der akademischen Grade sowohl im Paßwesen als auch bei den persönlichen Angaben der Abgeordneten im Internet anzugehen, und zwar diesmal beim Urheber der gesetzlichen Bestimmungen, dem Bundesminister des Innern, Herrn Schily, mit Kopie an die Abgeordneten der Parteien im Bundestag.
In meinem Brief an den genannten Personenkreis begründete ich ausführlich meine Ansicht, wonach die von der Bundesregierung gebilligte und seit vielen Jahren gängige Praxis der örtlichen Paßbehörden, das Doktorgrad-Kürzel (Dr.) in den Ausweispapieren einzutragen, eine auffällige Mißachtung der Rechtsprechung des BGHs und im übrigen nicht mehr zeitgemäß sei. Als Folge davon würden der Gleichheitsgrundsatz (GG Art. 3 Abs. 1) mißachtet und akademische Grade ungleich behandelt.
Die Antworten der Parteien CDU/CSU, SPD und FDP waren im wesentlichen unsachlich und unbegründet, was ich ihnen im einzelnen nachwies (an die CDU/CSU, an die SPD und an die FDP). Die Vertreterin der „Bündnis 90/Die Grünen empfahl mir lediglich, mich an den Petitionsausschuß der Bundesregierung zu wenden.
Das geschah formgerecht mit meiner Petition am 01.05.2004. Laut Bescheid wurde jeder meiner Anträge wegen Mißachtung der Rechtsprechung des BGH's gesondert bearbeitet:
bei der Eintragung akademischer Grade in den Personaldokumenten (Verfahren A: Pet 1-15-06-2101-023560) und
bei der Angabe der persönlichen Daten der Abgeordneten im Internet (Verfanren B: Pet 2-15-02-113-023398)
Als ich nach mehreren Zwischenbescheiden Ende April 2005 immer noch keine sachliche Antwort erhalten hatte, erinnerte ich an die Petition mit dem Hinweis auf meinen Verdacht, daß die Rücksichtnahme auf unüberwindbare Eitelkeiten auch nach fast einem Jahr keine Antwort zustande kommen lasse.
Nun reagierten die Sachbearbeiter schon nach einer Woche. Ihre kurzgefaßten und unbegründeten Ablehnungen meiner Anträge empfand ich als Verhöhnung eines Bürgers, der sich mit Ernst und Engagement für die Beseitigung eines Mißstandes einsetzt. In meiner Stellungnahme wies ich nach, daß die Begründungen nicht überzeugen können, weil sie einen auffälligen Mangel an Sachkompetenz offenbaren. Es wird nur versucht, den Bürger mit schwammigen Redewendungen abzuspeisen.
Die bevorstehenden politischen Veränderungen in Berlin lassen mich zweifeln, ob meine Antworten auf die abschließenden Schreiben des Petitionsausschusses noch gelesen werden. Erst recht erwarte ich vor allem nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens keine Reaktionen seitens der noch amtierenden Bundesregierung. Vielleicht bewirken europäische Regelungen und die Einsicht einer neuen Regierung, daß meine Anträge eines nicht zu fernen Tages doch noch Erfolg haben.
Ulrich Werner am 26.06.2005
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