Herrn Staatsminister Günther Beckstein, Dr. jur.
Bayerisches Staatsministerium des Innern
München, den 17.2.2007
Der Doktorgrad im Paß Ein Vorstoß in den Bereich der Eitelkeit
Sehr geehrter Herr Beckstein,
die Süddeutsche Zeitung berichtete am vergangenen Freitag über Ihren Brief an Herrn Schäuble in seiner Eigenschaft als Bundesinnenminister und somit zuständig für das Meldewesen. Danach wollen Sie das verhindern, was Dank einer EU-Verordnung endlich nochmals: endlich - wahrscheinlich wird, nämlich das Eintragen des Doktorgrades in Paß und Personalausweis abzuschaffen.
Für den Eintrag des Doktorgrades im Paß gibt es keinen sachlichen Grund Länderverordnungen haben jahrzehntelang die Rechtsprechung des BGHs (1962) ignoriert, wonach Doktorgrade kein Bestandteil des Namens sind. In einem Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht in München (1981) hat die Landesanwaltschaft die an sich triviale Behauptung bestätigt, daß akademische Grade nicht zur Identifizierung einer Person erforderlich sind. Sie schlug sogar vor, den Doktorgrad nicht im Paß aufzunehmen. Auch Juristen fiel kein schlüssiges Argument für diesen Mißbrauch eines Dokumentes ein, das ausschließlich zum Identifizieren einer Person dient. Warum sollten dann nicht auch andere Fähigkeiten und Eigenschaften der Person wie Führerschein und PC-Kenntnisse bzw. Haarfarbe im Paß vermerkt werden? Es hat sich auch kein Verwaltungsfachmann daran gestört, daß die Eintragung mit den zwei Buchstaben (Dr.) unvollständig ist und schon deshalb keine Information über die von Ihnen Herr Beckstein betonte „besondere wissenschaftliche Leistung gibt. Andere akademische Grade (Dipl., Di.) sind unter Mißachtung des Gleichheitsgrundsatzes von der Eintragung ausgeschlossen.
Eitelkeit siegt über Verringerung des Verwaltungsaufwandes Bekanntlich erhöht das Eintragen von Doktorgraden den Verwaltungsaufwand der Meldebehörden beträchtlich, vor allem wegen der Vielzahl illegal erworbener Grade. Der Bundesregierung scheint die EU-Verordnung willkommen zu sein. Gibt sie doch gegen übertrieben traditionsverhafteten Länderregierungen ein gutes Argument, den Behörden das Ausstellen von Pässen und Ausweisen zu erleichtern. Doch wenn es um die Eitelkeit der Menschen geht, spielen Kosten und Aufwand in der Verwaltung keine Rolle mehr, obwohl ständig von Verwaltungsvereinfachung die Rede ist. Im Bereich von Großstädten wie München ist es üblich, daß Träger eines frischen Doktorgrades sich in einem Ort des Umkreises anmelden und dort einen Paß beantragen, wo die Prüfung des wer weiß wo erworbenen (ausländischen) Doktorgrades nicht so streng ist wie in München. Nach Erhalt des neuen Passes kehrt der Herr Doktor nach München zurück. Die bisher geübte Praxis in den Meldebehörden ist staatlich verordnete Willkür!
Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes Die früher fast uneingeschränkt geltende Ansicht, der Doktorgrad, in der Umgangssprache oft als Doktortitel bezeichnet, sei Bestandteil des Namens, hat offenbar den Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 GG außer Kraft gesetzt. Viele Akademiker, bspw. Juristen, haben ein komplettes Studium absolviert, ohne danach den Doktorgrad erworben zu haben. Auch die Zahl der Ärzte steigt, die sich ohne Doktorgrad niederlassen und mit dem Verdacht fertig werden (müssen), kein vollwertiger Arzt zu sein. Außerdem war es möglich, und es wurde auch entsprechend genutzt, ohne Staatsexamen zu promovieren.
Titelkauf und -handel Während der Amtszeit von Franz-Josef Strauss als Ministerpräsident war Lothar Bossle, der „Professor mit dem schlechten Ruf, wie er in der „ZEIT vom 3.10.1991 bezeichnet wurde, sehr erfolgreich mit dem kurzfristigen Beschaffen von Doktorgraden für CSU- und andere Freunde, sogar aus dem Ausland. Er mußte das einträgliche Geschäft, seine Frau sorgte für den Druck der Dissertationen, aufgeben. Die Doktorgrade stehen jetzt im Paß seiner ehemaligen Kunden. Seit einiger Zeit sind Doktorgrade aus östlichen Ländern einem Bericht der SZ nach bei Abgeordneten des Landtages begehrt..
Die besondere wissenschaftliche Leistung Ihr Hinweis auf die „besondere wissenschaftliche Leistung als Rechtfertigung der Eintragung im Paß überzeugt allenfalls nur diejenigen, die außer ihrer Dissertation mit unbekanntem und nicht selten geringem Wert in ihrem späteren Leben keine Leistungen mehr vorweisen können, die anerkennenswert sind. Sie, Herr Beckstein, zähle ich nicht zu diesem Personenkreis. In den Büchern von Achim Schwarze über „Die Dünnbrettbohrer in Bonn kann sich jedermann über diese "besonderen wissenschaftlichen Leistungen" informieren. Danach reicht auch eine Sammlung von Floskeln und inhaltsleeren Allgemeinheiten aus, um einen Doktorgrad als lebenslange Verzierung des Namens zu erhalten. Selbst der Bruch des Amtseides eines Bundeskanzlers konnte nicht bewirken, daß ihm die akademische Würde aberkannt wurde, was bei einem derart gravierenden Vergehen möglich ist und angebracht gewesen wäre. Wenn alle „besonderen wissenschaftlichen Leistungen wie die bspw. von Nobelpreisträgern, Erfindern und Wissenschaftlern aller Gebiete ihren Niederschlag im Paß finden sollten, dann wäre ein Beiblatt für den Paß erforderlich.
Der tägliche Gebrauch des Doktorgrades Es stimmt, im täglichen Gebrauch findet die Bedokterung des Namens statt, und zwar in Provinz-, Orts- und Vereinsblättern, in Abhängigkeitsverhältnissen mit Vorgesetzten ohne Selbstbewußtsein sowie aus Anbiederei und Furcht vor Nachteilen. Auch im Bayerischen Rundfunk bringt es der an sich sympathische und kenntnisreiche Moderator des Gesundheitsgesprächs Werner Buchberger nicht fertig, die stets anwesende Ärztin, Frau Koch, ohne den Doktorgrad anzusprechen. Im täglichen Tagesgespräch des Senders dagegen gehört es zur Regel, die promovierten Studiogäste nur mit dem Namen anzureden. Wenn die Erwähnung des Doktorgrades ein Zeichen von Höflichkeit ist, dann wären alle Promovierten im Umgang miteinander unhöflich, weil sie den Grad bei der Anrede weglassen. Zeugt es nicht eher von Höflichkeit und Respekt, wenn man sich für das Studienfach eines Herrn Meier interessiert und ihn danach fragt, als ihn mit „Herr Doktor Meier anzusprechen und sein Studium zu ignorieren? Die Regel in Funk- und Schreibmedien besteht doch gerade darin, Doktorgrade nicht zu erwähnen. Auch Ihre akademische Abkürzung, sehr geehrter Herr Beckstein, habe ich bspw. in der SZ bisher noch nicht gelesen. Erst seit gestern weiß ich, daß Sie promovierter Jurist sind. Aha. Deshalb sind Sie für mich doch der selbe Mensch geblieben.
Das bildungs- und gesellschaftspolitische Signal Wie ein Jurist einen Zusammenhang zwischen einem an sich überflüssigen und unbegründeten Paßeintrag und einem „bildungs- und gesellschaftspolitischen Signal sehen kann, ist mir unverständlich. Sie haben für Ihre Ansicht keine plausiblen Gründe genannt. Dieses im Einzelfall längst erloschene „bildungs- und gesellschaftspolitische Signal wird durch häufiges Nennen und die Eintragung im Paß zum Wiederleuchten gebracht, falls es sich in der Zwischenzeit nicht als Irrlicht herausgestellt hat. Könnte ein derartiges Signal aus aktuellem Anlaß und dem Zeitgeist entsprechend nicht folgenreicher darin bestehen, daß die Bayerische Staatsregierung mehr Mittel für Schulen und Universitäten bereitstellt?
Der Paßeintrag fördert den Titelhandel Mit Ihrem Vorstoß für den Paßeintrags wollen Sie einen Zustand beibehalten, der kriminelle Folgen hat. Das weiterhin verehrte und sogar auf höchster Regierungsebene gehütete Kürzel vor dem Namen als sichtbares Zeichen der m. E. zu hohen Bewertung akademischer Grade nährt das Bestreben vieler akademisch nichtdekorierter Bundesbürger, mit Geld oder unter Ausnutzung von Beziehungen und politischer Macht den Doktorgrad und damit einen schmückenden „Titel ohne den Aufwand eines Studium zu erwerben. Dabei scheuen sie auch keine illegalen Methoden. Der amtlich verordnete Paßeintragung hat den Titelhandel gefördert und wird ihn solange weiter fördern, wie die unzeitgemäße Überbewertung von Graden und Titeln in der Bevölkerung gepflegt wird, verständlicherweise vorwiegend von denen, die sich der besonderen Wertschätzung im Kreis der akademisch Dekorierten erfreuen, und nicht zuletzt durch Initiativen wie die Ihre.
Der akademische Grad ist kein Leistungsbeweis Das vor mehr oder weniger langer Zeit mit Dissertation und Rigorosum erfolgreich abgeschlossene Studium ist keine Garantie für auch im späteren Leben erbrachte Leistungsfähigkeit und -bereitschaft. Das lebenslang automatische Hervorheben des Doktorgrades als Zeichen der Promotion gegenüber anderen Mitbürgern und Leistungsträgern der Gesellschaft ist daher nicht rechtfertigt und nur Ausdruck und Bestärkung des Vorurteils, nämlich der immer noch weit verbreiteten Meinung, der Herr Dr. Meier könne, wisse und leiste mehr als der Herr Meier, und zwar bis zum Beweis des Gegenteils. Es widerspricht den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft. Ein Klinikchef im Saarland hat von seinen Ärzten verlangt, sich gegenseitig mit dem Doktorgrad anzureden, um das Ansehen der Klinik zu heben. Ich habe ihm empfohlen, statt dessen die Erfolgsstatistik der Klinik zu veröffentlichen.
Zum Doktorgrad gehört die Angabe der Fakultät Die meistens unvollständige Angabe des Doktorgrades durch das Kürzel „Dr., also ohne Nennung der Fakultät erschwert es zu beurteilen, ob der Gradträger eine in seiner aktuellen Position hilfreiche oder sogar notwendige besondere Sachkenntnis aufweist. Gerade auf diese hinzuweisen wäre der alleinige Grund, den akademischen Grad, vorzugsweise hinter dem Namen zu nennen, wie es vor langer Zeit der Fachausschuß für Umgangsformen im Deutschen Tanzlehrerverband vorgeschlagen hat, z. B. in der Form "Herr Meier, promovierter Jurist, Arzt, Chemiker u. dergl.). Das Kürzel "Dr." weist lediglich auf eine vor unbekannter Zeit erfolgreich vorgelegte Dissertation von nicht selten zweifelhaftem, mindestens unbekanntem wissenschaftlichen Wert hin. Erst die Fakultätsangabe gibt wenigstens einen Anhalt für die fachliche Ausbildung des Promovierten. Die Diplomierten sind auskunftsfreudiger. Sie geben die Fachrichtung an, allerdings mit der fatalen Folge, daß ihr akademischer Grad inzwischen allgemein als Berufsbezeichnung abqualifiziert wird, auch im Widerspruch zur Auffassung des BGHs.
Das Laptop-Herz in der Lederhose Die sich besonders unter jüngeren Menschen ausbreitende Nüchternheit in Fragen von Graden und Titeln aller Art werden diejenigen begrüßen, die an einer Verringerung von Vorurteilen in der Gesellschaft interessiert sind. Ihre Einstellung zum Doktorgrad, verehrter Herr Beckstein ,scheint mir in Anlehnung an den Werbe-Slogan Ihres derzeitigen Regierungschefs Edmund Stoiber den Eindruck zu erwecken, daß ein Laptop-Herz in eine mittelalterliche Lederhose gefallen ist. Ich bezweifle, daß eine rückwärtsgewandte Politik, wie sie im Bewahren alter Zöpfe zum Ausdruck kommt, ein positives Signal für Bayerns Zukunft ist.
Die Länderkammer hat beschlossen Leider hat sich, wie heute erfahren (SZ), die Länderkammer Ihrem Antrag angeschlossen, und zwar nicht aus sachlichen Gründen, woher sollten sie auch kommen, sondern mit der Ausrede, wie sie dümmer nicht sein kann, wenn einem nichts Vernünftiges mehr einfällt: „Wir haben das seit Jahrzehnten so gemacht. Die weiter genannte „deutschsprachige Kulturtradition stammt aus angegrauter Vorzeit und diente dazu, studierte Ärzte von Quacksalbern zu unterscheiden. Das wußten die Doktoren, eine Minderheit, sicher nicht. So warfen sie Nebelkerzen in Angst vor dem Raub ihrer akademischen Verzierung im Paß. Vielleicht ist sie das Einzige, das ihr Selbstbewußtsein stärkt.
Schäuble bleibt hoffentlich hart Ich kann nur hoffen, daß Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ungeachtet Ihres netten Briefes an ihn hart bleibt und die EU-Verordnung umsetzt. Die Promovierten können ihren - mit Verlaub - verstaubten Leistungsnachweis nach wie vor auf Visitenkarten, Türschildern und Briefköpfen angeben.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Werner
C/Herrn Schäuble
Pressestimmen zu Becksteins Titelkampf
Dr. Sommer antwortet, 5.4.2007
Meine Antwort an Herrn Sommer am 8.4.2007
Sommer antwortet wieder, 12.4.2007
Meine Antwort darauf, 16.4.2007
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