Das vor mehr oder weniger langer Zeit mit Dissertation und Rigorosum erfolgreich abgeschlossene Studium ist keine Garantie für auch im späteren Leben erbrachte Leistungsfähigkeit und -bereitschaft. Das lebenslang automatische Hervorheben des Doktorgrades als Zeichen der Promotion gegenüber anderen Mitbürgern und Leistungsträgern der Gesellschaft ist daher nur Ausdruck und Bestärkung des Vorurteils, nämlich der immer noch weit verbreiteten Meinung, der Herr Dr. Meier wisse, könne und leiste mehr als der Herr Meier, und zwar bis dieser nachgewiesen hat, mindestens ebenbürtig zu sein. Illegal beschaffte akademische Grade lassen die Überbewertung aller akademischen Grade bedenklich erscheinen. Das Titelwesen in Deutschland als Ausdruck unbegründeter und unbewiesener Erfolgsbeweise schafft Vorurteile und hilft sie zu verbreiten. Es widerspricht den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft. Geistige Leistungen vergangener Zeiten sollen respektiert und nicht ignoriert werden. Wichtiger sind jedoch die geistigen und menschlichen Qualitäten, die in der Gegenwart die Gesellschaft bereichern.
Das universelle Doktorzeichen „Dr. ist mit sportlichen Titeln vergleichbar, die ohne Angabe der Sportart vergeben wurden. Es käme niemand auf die Idee, einen Weltmeister zu bewundern, von dem unbekannt ist, ob er im Zehnkampf oder im Sackhüpfen den Erfolg errungen hat.
Die Anreden „Frau Doktor und Herr Doktor sind noch häufig in weniger gebildeten Kreisen üblich. Dort ist man sogar stolz darauf, einen „Studierten mit Frau/Herr Doktor anreden zu dürfen. Auch Provinz-, Orts- und Vereinsblätter können sich nur zögernd von der Titelpflege trennen. Überregionale Druck- und Funkmedien erwähnen seit vielen Jahren keine akademischen Grade mehr. Inseln übertriebener Titelei halten sich jedoch hartnäckig. Zum Beispiel im Magazin der Süddeutschen Zeitung. Dort nimmt regelmäßig der zweifach Promovierte Rainer Ehrlinger zu Gewissensfragen Stellung. Obwohl angemahnt weigern er und die Redaktion sich beharrlich, die Doktorgrade durch die Angabe der Fakultät zu vervollständigen. Einziger Sinn der akademischen Doppelverzierung könnte doch darin liegen, dem Leser glaubhaft zu machen, daß ein Tatgeber mit zweifachem und welchem Fachwissen ihnen Ratschläge erteilt. Woran aber sollen die das erkennen?
Im Bayerischen Rundfunk ist der an sich sachkundige Moderator des jeden Samstag gesendeten „Gesundheitsgesprächs Werner Buchberger nicht in der Lage, die meistens anwesende Internistin Marianne Koch (nur) mit dem Namen anzureden. Warum sich die kenntnisreiche und sympathische Frau Koch dieser penetranten Bedokterung widerspruchsfrei aussetzt, ist unverständlich. Auch im täglichen Tagesgespräch des genannten Senders fällt der Moderator Achim Bogdahn durch seine Titelliebe auf. Die weiteren Moderatorinnen und Moderatoren dieser sehr interessanten Sendung geben Grade und Titel der Studiogäste nur bei der Vorstellung an. Leider auch nur unvollständig, so daß der Zuhörer keine Information über die akademische Qualifikation des jeweils geladenen Sachverständigen erhält. Weil die genanten Sendungen sehr beliebt sind, übernehmen die Zuhörer gern die Gewohnheiten der Moderatoren. Nichtinformierte fühlen sich dann weiterhin verpflichtet, jeden Promovierten mit dem Doktorgrad anzureden.
Verständnis verdienen dagegen Arbeitnehmer in Abhängigkeitsverhältnissen (Universitäten, Kliniken, Behörden usw.), die ihre Vorgesetzten aus Furcht vor Nachteilen mit dem Titel anreden.
Der überflüssige, sachlich unbegründete und sogar gesetzwidrige Paßeintrag ist kein "bildungs- und gesellschaftspolitisches Signal", mit dem Herr Beckstein aus Bayern seinen Traditionserhaltungsvorstoß begründet hat. Der eigenartige Versuch, einen ständig weniger geübten Brauch aus den Zeiten der Einführung des Doktorgrades zu konservieren, paßt nicht in die heutige Zeit, allenfalls noch zu einem Stammtisch nach Art der „Feuerzangenbowle. Ein "bildungs- und gesellschaftspolitisches Signal" würde heute wirkungsvoller darin bestehen, daß mehr Mittel für Schulen und Universitäten bereitgestellt werden.
In der SZ vom 21. Mai 20076 drohte der wiedergewählte Präsident der TU München Wolfgang A. Herrmann mit dem Wechsel ins Ausland, wenn die Ausstattung seiner Hochschule nicht verbessert wird. Als Beispiele nannte er den „erheblichen Ausbaubedarf am Forschungszentrum Garching, die immer nochbestehende räumliche Trennung von Fakultät und Forschungszentrum und die mangelnde allgemeine Ausstattung der Studienplätze.
Siehe auch
Internationale Lachnummer: Dr. Deutschland - Deutschland mißbraucht ein Hochsicherheitsdokument (den Paß) zum Verbreiten von akademischem Weihrauch - Hü und hott mit dem neuen Paßgesetz
Leserbrief an die SZ zur Internationalen Lachnummer
Leserbrief zum Leserbrief an die SZ
Antwort auf den Leserbrief zum Leserbrief
Der Ablauf der Lachnummer:
1. Deutschland auf dem Weg in die Moderne? Fliegt der Doktor aus dem Paß?
2. Auszug aus BT-Drucksache 16/4138 vom 29. Jan. 2007
3. Eitelkeit siegt über Vernunft - Statt Verwaltungsabbau Weihrauchverbreitung
4. Deutschland auf dem Weg in die Kleinkaro-Republik - Der Doktor bleibt im Paß
5. Der letzte Akt, eine Formsache: 100. Sitzung des Bundestages
6. Auszug aus BT Protokoll der 100. Sitzung
7. Die Ignoranz der doctores ist nicht zu überbieten - Die Vernunft wurde durch akademischen Weihrauch vernebelt
8. Der Doktorgrad ist kein Bestandteil des Namens und gehört nicht in die Namenszeile eines Ausweises
9. Der Doktorgrad ist kein Identifizierungsmittel - Ein Hochsicherheitsdokument wird als Visitenkarte mißbraucht
10. Der Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3 GG) wird verletzt
11. Die Bundesregierung fördert den Titelhandel
12. Die zwei Buchstaben "D" und "r" sagen wenig aus und deuten viel an
13. Vorurteile über Wissen, Können und Leistung werden erhalten und gefördert
14. Ein Leistungseinzelfall wird lebenslang bestätigt oder vorgetäuscht
15. Der Paß dient als Ersatztherapeut für Komplexträger
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