Vielen Promovierten beachten die Angelegenheit „Eintragung des Doktorgrades im Paß nicht. Sie benötigen den Grad auch nicht, um gesellschaftlich und beruflich anerkannt zu sein. Wer die offizielle Verzierung des Namens im Paß jedoch brauchte, aus welchem Grund auch immer, den erfreute verständlicherweise die traditionsbedingte Kehrtwende in Berlin. Jetzt sollte der Doktorgrad nicht, wie geplant, nicht mehr, sondern wie bisher im Paß eingetragen werden. Besonders nach dem Studium erfolglose Promovierte und Träger von illegalen Titeln rieben sich die Hände.
Sicher hatten nicht wenige Abgeordnete aus dem Kreis der akademisch Dekorierten darauf gewartet, daß ein Mutiger aus dem Kreis der Geistesverwandten aufsteht und gegen diese würdevernichtende Aktion des Herrn Schäuble einschreitet. Der Retter kam wie bestellt.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hatte zwar bereits die verwaltungstechnischen Maßnahmen für die Abschaffung der Eintragung veranlaßt. Doch Bayerns Innenminister Günther Beckstein, Dr. jur., und das Land Thüringen im akademischen Gefolge sahen sich plötzlich als Verteidiger alter Traditionen und Signalgeber für bildungspolitische Impulse. Die zwei Länder protestierten im Bundesrat gegen die geplante Abschaffung der Eintragung des Doktorgrades. Der Eingriff in den sorgsam gepflegten Brauch akademischer Verzierungen mußte unter allen Umständen verhindert werden. Es drohte ein gesellschaftlicher Tsunami. Die Weihrauchschwenker konnten zwar keinen einzigen vernünftigen Grund nennen, aber sie hatten Erfolg. Wenn es um die Eitelkeit geht, halten alle „Betroffenen (Getroffenen?) zusammen.
Der Vorstoß aus Bayern fand vor allem auch deshalb keinen Widerstand, weil die Tradition der Bedokterung des Namens sogar im Parlament seit Jahrzehnten tief verwurzelt ist. Im „Hohen Haus werden in geradezu penetranter Weise die Namen der Abgeordneten grundsätzlich mit der akademischen Verzierung, falls vorhanden, angegeben und im Protokoll notiert, allerdings unvollständig. Es wird immer nur das wenig aussagende Buchstabenkürzel „Dr. genannt, immer wieder, als wenn es sich im Bundeshaus nicht inzwischen herumgesprochen hätte, wer einmal auf einer Universität war, falls er es war.
Der Kreis der Betroffenen war durch den mutigen Vorstoß von Herrn Beckstein erleichtert. Nicht nur, weil ihnen ein Stein von Herzen genommen war, ihre lebenslange Sonderstellung war gesichert, sondern weil sich nun jede Diskussion über Schäubles Absicht erübrigte. Seine Aktion wurde ohne Aussprache abgeblasen und alle organisatorischen Maßnahmen rückgängig gemacht. Das Kabinett habe daraufhin, so der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg, einen entsprechenden Plan für das Paßgesetz ohne Aussprache gebilligt, d. h.,
der Doktorgrad wird wieder eingetragen.
Es lebe die Tradition, unabhängig davon, welchen Schwachsinn sie bewahrt. Tja die Tradition, speziell die in Bayern gehütete. Hatte doch der katholische Männerverein Tuntenhausen der CSU noch vor 30 Jahren den zweiteiligen Badeanzug abschaffen wollen (DER SPIEGEL 23/2007, S. 58).
War es nicht beabsichtigt, den großen Verwaltungsaufwand zu verringern? Die guten Gründe und die eigenen Argumente der Bundesregierung waren plötzlich Makulatur. Es nützte kein Sachverstand, bspw. die Meinung des Sachverständigen Christoph Busch (Prof. Dr. vom Fraunhofer Institut / Hochschule Darmstadt) in der Anhörung im Bundestag. Weder Briefe an den Innenminister Schäuble, Dr. jur., mit der Aufforderung, seine ursprüngliche Absicht zu verwirklichen, noch an den Innenausschuß und den Rechtsauschuß des Deutschen Bundestages zeigten Wirkung. Auch die Fraktionsvorsitzenden und diverse Abgeordnete reagierten nicht auf die ausführlichen Erläuterungen der vielen Gründe, die belegen, daß dieser in Europa beispielslose Schildbürgerstreich dem Ansehen der Bundesrepublik schadet. Es haben nur zwei Abgeordnete von der Opposition geantwortet.
Beckstein brauchte nur soweit bekannt - einmal zu winken, und schon war die ganze Aktion Schäubles hinfällig. Argumente störten dann nur noch.
Was soll eigentlich den für das Paßgesetz Zuständigen noch vorgetragen werden, um sie der Einsicht anzunähern, daß sie auf einem Holzweg sind?
Was soll aber auch jemand antworten, der (hoffentlich) weiß, daß er Unsinn macht?
Wer stoppt Politiker, die es zulassen, daß Deutschland auf die Ebene einer Kleinkaro-Republik sinkt? Werden bei Eitelkeitsbelangen alle für das logische Denken zuständigen Gehirnareale im Cortex nicht mehr durchblutet? Was soll das Gerede von Globalisierung, Innovationen, technischem Fortschritt, wenn gesellschaftspolitisch alles so kleinkariert bleibt wie bisher? Die seit einiger Zeit gewaltig angestiegene Belastung der Verwaltungsbehörden durch die Doktor-Eintragungen im Paß war nicht mehr der Rede wert. Sie soll „im Zusammenwirken mit den Ländern gelöst werden. Wie, wurde nicht verraten, also weiter wursteln wie bisher.
Siehe auch
Internationale Lachnummer: Dr. Deutschland - Deutschland mißbraucht ein Hochsicherheitsdokument (den Paß) zum Verbreiten von akademischem Weihrauch - Hü und hott mit dem neuen Paßgesetz
Leserbrief in die SZ zur Internationalen Lachnummer
Leserbrief zum Leserbrief an die SZ
Antwort auf den Leserbrief zum Leserbrief
Der Ablauf der Lachnummer:
1. Deutschland auf dem Weg in die Moderne? Fliegt der Doktor aus dem Paß?
2. Auszug aus BT-Drucksache 16/4138 vom 29. Jan. 2007
3. Eitelkeit siegt über Vernunft - Statt Verwaltungsabbau Weihrauchverbreitung
4. Deutschland auf dem Weg in die Kleinkaro-Republik - Der Doktor bleibt im Paß
5. Der letzte Akt, eine Formsache: 100. Sitzung des Bundestages
6. Auszug aus BT Protokoll der 100. Sitzung
7. Die Ignoranz der doctores ist nicht zu überbieten - Die Vernunft wurde durch akademischen Weihrauch vernebelt
8. Der Doktorgrad ist kein Bestandteil des Namens und gehört nicht in die Namenszeile eines Ausweises
9. Der Doktorgrad ist kein Identifizierungsmittel - Ein Hochsicherheitsdokument wird als Visitenkarte mißbraucht
10. Der Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3 GG) wird verletzt
11. Die Bundesregierung fördert den Titelhandel
12. Die zwei Buchstaben "D" und "r" sagen wenig aus und deuten viel an
13. Vorurteile über Wissen, Können und Leistung werden erhalten und gefördert
14. Ein Leistungseinzelfall wird lebenslang bestätigt oder vorgetäuscht
15. Der Paß dient als Ersatztherapeut für Komplexträger
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