Die von Bundesinnenminister Schäuble beabsichtigte Änderung der Eintragung von Doktorgraden im neuen Paß war überzeugend dargelegt und begründet. Hinter sich hatte er die überwiegende Anzahl der Innenverwaltungen der Länder. Sie hatten vor allem unter Hinweis auf Probleme bei der Eintragung von im Ausland erworbenen Doktorgraden gefordert, die Eintragung des Doktorgrades im Paß abzuschaffen. Auch die Kultusministerkonferenz hatte sich dafür ausgesprochen. Die Eintragung erhöhe den Verwaltungsaufwand der Meldebehörden beträchtlich, vor allem wegen der Vielzahl illegal erworbener Grade.
Der Bundesregierung schien die diesbezügliche EU-Verordnung willkommen zu sein. Mit ihr erhielt sie ein gutes Argument und konnte gleichzeitig den Behörden das Ausstellen von Pässen und Ausweisen wesentlich erleichtern. Besonders das Prüfen der Berechtigung des Eintrages ausländischer Grade erforderte viel Verwaltungsaufwand.
Die Vorarbeit war bereits geleistet. Entsprechende Änderungen der Paßgesetznovelle lagen in Schriftform vor. Alles lief zunächst wie geplant. Doch einige Vollakademiker fühlten sich mißachtet, nicht ausreichend anerkannt. Unter dem Vorwand, alte Tradition zu wahren, beantragte Bayerns Innenminister Günther Beckstein, Dr. jur., im akademischen Schlepptau das Land Thüringen, im Innenausschuß des Bundesrates, die Eintragung des Doktorgrades beizubehalten, ohne Erfolg, vorerst.
Die Weihrauchfraktion ließ jedoch nicht locker. Beckstein erinnerte an die „deutschsprachige Kulturtradition, die es zu wahren gelte, verstärkt mit dem betörenden Aufmunterungsduft der „jahrzehntelangen (rechtswidrigen) Praxis, den Doktorgrad im Paß als akademische Verzierung vor den Namen zu setzen. Die süchtigmachende Droge „Geltung und Ansehen wurde erfolgreich verteilt und wirkte.
Der Weg in die Moderne war plötzlich verrammelt. Offiziell lautete es:
„Im Plenum hat sich der Bundesrat mit Rücksicht auf die deutschsprachige Kulturtradition dann doch noch für die Beibehaltung der bisherigen, jahrzehntelangen Praxis ausgesprochen. Dem will sich die Bundesregierung nicht entgegenstellen.
Es lebe der nach Weihrauch duftende Fortschritt.
Neurologen bestätigen, daß sich das menschliche Gehirn während des Verlaufs der „Zivilisation innerhalb der vergangenen 10 000 Jahre kaum verändert hat.
Das Weihrauchfaß wurde ja schon 1988 wirkungsvoll geschwenkt. Als hätte es das BGH-Urteil nie gegeben wurde der Doktorgrad in der Bundesrepublik ab 1988 sogar gesetzlich verankert. Zur Begründung hieß es damals kurz, gesetzträchtig und bündig:
„Der Doktorgrad werde im täglichen Leben in der Regel neben dem Namen verwendet. Basta.
Eine solche Mißachtung eines BGH-Urteils sollte sich einmal der einfache Bürger erlauben; er hätte sofort ein Strafverfahren zu erwarten.
Und im Jahre 2007 glänzt der Wiederholungstäter Bundesregierung mit gleicher umwerfender Logik wie 1988, ja Unverfrorenheit, um den Schildbürgerstreich aus Bayern zu sanktionieren und die Eintragung des Doktorgrades erneut gesetzlich zu verankern:
„Es ist nicht erkennbar, warum das, was den Gesetzgeber seinerzeit veranlaßt hat, den Doktorgrad in den Katalog der zu speichernden Daten aufzunehmen, heute nicht mehr gelten soll.
Eine solche Argumentation ist nicht dumm, sondern dreist und eine Beleidigung für jeden Bundesbürger.
Von Verwaltungsvereinfachung war plötzlich keine Rede mehr. Ach ja: „Die fortbestehenden Probleme - hört, hört, - „sollen im Rahmen der ebenfalls zu novellierenden Verwaltungsvorschriften im Zusammenwirken mit den Ländern gelöst werden. Also bestehen die Probleme fort. Vielleicht werden sie dadurch gelöst, daß dann überhaupt nicht mehr geprüft und jeder Wald-und-Wiesen-Doktor im Paß verkürzelt wird.
Kurz: Der Doktor: Erst raus aus dem Paß dann wieder rein in den Paß.
Der Doktor-Tourismus im Bereich von Großstädten wie München wird zunehmen. Es ist bereits seit langem üblich, sich als Träger eines „frischen Doktorgrades in einem Ort des Umkreises anzumelden und dort einen Paß zu beantragen. Die Prüfung des wer weiß wo und wie erworbenen (ausländischen) Doktorgrades ist auf dem Land nicht so streng wie in München. Nach Erhalt des neuen Passes kehrt der amtlich dekorierte Herr Doktor nach München zurück, zündet eine Traditionskerze an und erfreut sich am Schein.
Siehe auch
Internationale Lachnummer: Dr. Deutschland - Deutschland mißbraucht ein Hochsicherheitsdokument (den Paß) zum Verbreiten von akademischem Weihrauch - Hü und hott mit dem neuen Paßgesetz
Leserbrief in die SZ zur Internationalen Lachnummer
Leserbrief zum Leserbrief an die SZ
Antwort auf den Leserbrief zum Leserbrief
Der Ablauf der Lachnummer:
1. Deutschland auf dem Weg in die Moderne? Fliegt der Doktor aus dem Paß?
2. Auszug aus BT-Drucksache 16/4138 vom 29. Jan. 2007
3. Eitelkeit siegt über Vernunft - Statt Verwaltungsabbau Weihrauchverbreitung
4. Deutschland auf dem Weg in die Kleinkaro-Republik - Der Doktor bleibt im Paß
5. Der letzte Akt, eine Formsache: 100. Sitzung des Bundestages
6. Auszug aus BT Protokoll der 100. Sitzung
7. Die Ignoranz der doctores ist nicht zu überbieten - Die Vernunft wurde durch akademischen Weihrauch vernebelt
8. Der Doktorgrad ist kein Bestandteil des Namens und gehört nicht in die Namenszeile eines Ausweises
9. Der Doktorgrad ist kein Identifizierungsmittel - Ein Hochsicherheitsdokument wird als Visitenkarte mißbraucht
10. Der Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3 GG) wird verletzt
11. Die Bundesregierung fördert den Titelhandel
12. Die zwei Buchstaben "D" und "r" sagen wenig aus und deuten viel an
13. Vorurteile über Wissen, Können und Leistung werden erhalten und gefördert
14. Ein Leistungseinzelfall wird lebenslang bestätigt oder vorgetäuscht
15. Der Paß dient als Ersatztherapeut für Komplexträger
|